Oberhausen. . Brigitte Kraemer aus Wanne-Eickel ist eine Meisterin der Reportage-Fotografie. Die Ludwiggalerie in Oberhausen zeigt ihre Arbeiten nun erstmals in einer großen Werkschau.
Im Ruhrgebiet, so befand einst Heinrich Böll, riecht es vor allem nach Mensch. Auch auf Brigitte Kraemers Bildern meint man, die Menschen riechen zu können. Der Mix aus Grillfleisch, Bier und gemähtem Rasen im Schrebergarten; Parfüm, Schweiß und andere Körperflüssigkeiten im Swingerclub, exotische Gewürze und Tabak im engen Wohnzimmer der türkischen Familie: Brigitte Kraemer ist überall dort gewesen, wo unsere Umgebung exotisch und abenteuerlich wird. Wo die Menschen unter uns irgendwie anders sind: neu angekommen, geflüchtet, verletzt, skurril, gefangen.
Die Ludwiggalerie in Oberhausen zeigt nun erstmals eine große Werkschau der Fotografin aus Wanne-Eickel, die sich dem verschrieben hat, was man gern „klassische Reportagefotografie“ nennt und was zumindest zu einer gefährdeten, wenn nicht sogar zu einer aussterbenden Disziplin der Fotografie gehört: zu zeigen, was ist. Oft sind ihre Serien im Auftrag des „Stern“ oder des Zeitmagazins entstanden. Der Aktualitätsdruck hat ihr manchmal zusätzlichen Antrieb gegeben, erläutert sie.
„Nah und fern“ als Leitmotiv
„Nah und fern“ heißt eine ihrer ältesten Serien – und ist gleichzeitig so etwas wie ein Leitmotiv ihrer Arbeit. Holt sie doch die diversen Lebenswelten der Region vor die Kamera, zeigt die kriegsversehrten Kinder des Friedensdorfs Oberhausen genauso wie die Camper an der Ruhr, die Autofetischisten auf dem Schrottplatz und junge Mütter im Gefängnis . . .
Hier zeigt sich, dass Brigitte Kraemer immer wieder das Kunststück gelingt, Menschen zu porträtieren, ohne sie in Positur zu bringen. Sie riskiert Unschärfe, Fehlbelichtung und jede Menge Zeit, sie redet mit den Menschen, wird zur Begleiterin, bis ihr die Menschen vertrauen und vergessen, dass da eine Kamera ist, dass die Begleiterin eigentlich Fotografin ist und nur auf den Moment wartet, wo die Menschen, die sie zeigt, ganz Mensch sind. Vielleicht ist sie deswegen bei den Versuchen, Prominente oder Politiker zu fotografieren, gescheitert: Wer gewohnt ist, vor der Kamera zu stehen, vergisst die Kamera nie.
Trauer, Komik, Leid und Freude
Doch Brigitte Kraemer geht es um den Moment, da Menschen ganz bei sich sind, sich in ihrer Trauer, ihrer Komik, ihrem Leiden, ihrer Freude entblößen. Um diesen Moment der Wahrhaftigkeit festzuhalten, begleitet sie die Menschen geduldig. Dafür verzichtet sie auf fotografischen Aufwand: kein Blitz, kein Zoom. Die Objektive, die sie verwendet, zeigen die Welt annähernd so wie das menschliche Auge. Die einzige künstlerische Veränderung ist in vielen Serien die Reduktion auf die klassische Schwarz-Weiß-Fotografie.
Geografisch kann man Brigitte Kraemer das Etikett Ruhrgebietsfotografin anhängen. Bis auf wenige Ausnahmen sind ihre Bilder hier entstanden. Und doch zeigen ihre Bilder die ganze Welt, die Universalität des Menschlichen.
Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, 6. März - 19. Juni, di-so 11-18 Uhr, Eintritt frei. Katalog, 128 Seiten, 29,80 Euro, im Kerber-Verlag. www.ludwiggalerie.de