Bochum. In seinem Buch „Förster, mein Förster“ schickt Frank Goosen seine Protagonisten in einem VW-Bulli ans Meer. Ihn selbst zieht es weniger in die Ferne.

Im Stadtpark füttern Kinder Enten, ein paar Schritte weiter lockt das „Tante Yurgan’s“ ein studentisches Publikum mit Apfelkuchen und Bionade. Hier, im Altbauviertel zwischen A 40, Stadion und Bergbaumuseum, lebt Schriftsteller Frank Goosen. Bei einem Caro-Milchkaffee sprach der 49-Jährige mit Britta Heidemann über das Ruhrgebiet, runde Geburtstage und seine Road-Novel „Förster, mein Förster“.

Herr Goosen, in Ihrem neuen Roman flieht der Held mit allerlei schräger Begleitung im VW-Bulli ans Meer. Wollen Sie etwa weg aus dem Ruhrgebiet?

Frank Goosen: Jeder will doch mal raus. Aber im Moment drängt es mich nicht so sehr, nein.

Förster, Fränge und Brocki sind drei Männer um die 50, die Krisen sind hübsch verteilt: die Affäre mit einer 20-Jährigen, beruflicher Frust – was ist nur das Problem mit den Männern in diesem Alter?

Goosen: Müsste die Frage nicht heißen, was ist das Problem mit Menschen in diesem Alter?

Frauen haben schon vorher Krisen. Und sind es eher gewohnt, dass ihre Biografie Brüche hat.

Goosen: Ich habe von beiden Geschlechtern die Frage gehört: War das schon alles? Bei Männer spielt sicher eine Rolle, dass sie zweifeln: Habe ich genug geleistet? In den Zwanzigern, da fühlt man sich, als sei man unsterblich. Früher dachte man das Leben viel mehr in gradlinigen Abläufen, man hatte den gleichen Job von zwanzig bis fünfundsechzig. Das gibt es nicht mehr. Männer haben allerdings nicht diesen biologischen Bruch, wenn ich das mal so nennen darf. Viele Frauen müssen, wenn sie Kinder bekommen, komplett mit ihrem alten Leben brechen. Das war bei uns auch nicht anders.

Aber Sie haben doch Zeit, so als freier Schriftsteller?

Goosen: Klar, mehr als Männer, die einen Nine-to-Five-Job haben. Wir essen jeden Mittag zusammen. Wenn nicht die Kinder bis nachmittags in der Schule sind. Ich war auch vier Jahre Fußballtrainer für den Älteren, der jetzt 14 ist. In der Mannschaft des Zwölfjährigen helfe ich manchmal aus. Wir haben da mit dem Fußball ein großes Thema zusammen.

Sie sind auch im Aufsichtsrat des VfL. Haben Sie die Niederlage gegen Bayern schon verwunden?

Goosen: Wir hatten uns da viel vorgenommen, und es hätte auch klappen können. Aber der Platzverweis, der hat uns das Genick gebrochen. Es war richtig, dass wir mit viel Mut in dieses Spiel gegangen sind. Der VfL ist dabei, wieder stärker eine Siegermentalität auszubilden. Die war in den letzten Jahren manchmal etwas verkümmert.

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Gilt das auch fürs Ruhrgebiet?

Goosen: Tatsächlich hat der Ruhrgebietler manchmal einen kurzen Weg zum Selbstmitleid. Das ist nicht sexy. Wir sind ja arm wie Berlin, aber eben nicht so sexy. Obwohl wir ähnliche Anlagen haben. Wir waren schon mal kurz davor, cool zu werden, Ende der 80er-Jahre. Da gab es Filme wie „Die Abfahrer“, „Jede Menge Kohle“, „Theo gegen den Rest der Welt“ – die kann man sich heute immer noch super angucken. Und dann kam der Mauerfall. Und alle sind nach Berlin gegangen. Ärgerlich.

Und heute?

Goosen: Bei den jungen Kreativen gibt es einen Aufbruch. Die sind ganz unbelastet. Damals, in den Soziokulturellen Zentren, hatten die Aktiven doch noch sehr viel ideologisches Gepäck mitzuschleppen aus den 60er-, 70er-Jahren oder auch aus der Auseinandersetzung mit den Vätern. Das war so der alte Pütt-Adel, stockkonservativ.

Auch in Ihrer Familie?

Goosen: Obwohl mein Vater auch Handwerker war, Elektriker, habe ich einen Schuss Anarchie mitbekommen – von meiner Omma. So eine Offenheit dem Leben gegenüber. Sie ist jetzt 92 und lebt hier ganz in der Nähe. Über 40 Jahre lang hat sie im Rathaus gewohnt. Mein Oppa hatte die Heizungen unter sich, der war der Heizungsmonteur. Und meine Omma hat später in der Telefonzentrale gearbeitet. Meine Mutter ist also im Rathaus aufgewachsen. Ich selbst war als Kind da auch viel unterwegs, bin mit dem Skateboard über die Flure.

Und sind doch nicht Oberbürgermeister geworden?

Goosen: Da verdient man einfach zu schlecht. (lacht)

Sagte der Bestsellerautor.

Goosen: Nein, im Ernst jetzt: Ich bin kein Politiker; schon beim VfL fällt mir das Taktieren schwer. Obwohl ich als Einzelkind ein starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit habe.

Roland Förster ist Schriftsteller, er hat das Stück „Schneeweißchen und Rosenrot oder Der Untergang des Zwergengeschlechts“ geschrieben, das im echten Leben von Ihnen stammt – ein autobiografisches Buch. Sie werden in diesem Jahr ja auch 50.

Goosen: Es ist so, wie in allen meinen Büchern: Ich weiß, wovon ich schreibe, aber die konkrete Geschichte ist erfunden. Wenn ich überlege, dass ich 50 werde...

Frank Goosen als Jugendtrainer von Arminia Bochum.
Frank Goosen als Jugendtrainer von Arminia Bochum. © WAZ Fotopool

… dann denken Sie – was?

Goosen: Man merkt, dass die ersten Reparaturarbeiten notwendig werden. Ich habe keine großen Probleme mit dem Alter. Für mich haben bisher nicht die runden Geburtstage, sondern andere Ereignisse Lebensabschnitte markiert: Studium beendet, Frau kennengelernt, geheiratet, Kinder bekommen. Trotzdem: Im Bekanntenkreis gibt es Leute, die Eheprobleme haben, das hat sich gehäuft. Es gibt auch Leute, die schwer krank sind – oder sogar schon gestorben sind. Meine Eltern sind beide mit Anfang 50 gestorben. Wenn ich nach meinem Vater komme, dann habe ich noch zwei Jahre. Sagen wir mal so: Mit der Endlichkeit der menschlichen Existenz bin ich nicht einverstanden.

Hilft es nicht, dass Ihre Bücher bleiben? Helfen die Kinder nicht?

Goosen: Schon. Davon kriege ich aber nichts mehr mit. Meine Bücher, das ist erst Mal das, was ich sehr gerne mache und womit ich mein Geld verdiene. Aber ob das noch 50 Jahre nach meinem Tod gelesen wird? Die Hoffnung, dass etwas in unseren Werken oder Kindern weiterlebt, ist nur ein schwacher Trost. Woody Allen hat mal gesagt, er möchte Unsterblichkeit nicht durch seine Werke erlangen, sondern dadurch, dass er nicht stirbt.

Wie wichtig ist die lebendige Kultur fürs Ruhrgebiet?

Goosen: Kultur ist nicht nur etwas für Leute, die lange schlafen wollen. Sondern fürs Ruhrgebiet ein knallharter Standortfaktor. Ich bin enttäuscht, dass die Kulturhauptstadt in den Köpfen vieler Leute nicht nachhaltig gewirkt hat. Bei der Frage, wie kriegt man hier Unternehmen hin, da spielt die Lebensqualität eine große Rolle. Neben den großen Häusern sind es gerade die vielen kleinen Theater und Initiativen, die dich sexy machen als Region. Da muss man schon mal überlegen, wo wollen wir denn in zehn, zwanzig Jahren sein?

Und die Vergangenheit?

Goosen: Unsere Vergangenheit ist das, was uns einzigartig macht. Das ist auch eine pragmatische Überlegung, dass man sich auf das konzentrieren muss, was einen auszeichnet. Das ist in Bayern nicht anders. Da laufen alle in Trachten mit Hirschhornknöpfen herum, aber kaum einer geht noch auf die Alm.