Essen. . Bärtig zugewachsen, kaum wiederzuerkennen: Als vom Kampf mit der Wildnis gezeichneter Trapper ist Leo DiCaprio jetzt in einem starken Stück Kino zu sehen.
Dass man von einem Schauspieler wie Leonardo DiCaprio mal fast einen ganzen Film lang schmerzerfülltes Grunzen, Stöhnen und schweres Atmen hören würde und kaum einen vollendeten Satz, darauf hätte bisher wohl niemand gewettet. Aber Alejandro González Inárritus „The Revenant – Der Rückkehrer“ sprengt von seiner Machart und seiner Erzählweise her viele Grenzen und macht mit den wuchtigen Bildern von Kameramann Emmanuel Lubezki das Kino endlich einmal wieder zu einem packenden Erlebnis.
Schon lange liefert der mexikanische Regisseur Inárritu Filme ab, die man so leicht nicht vergisst. Globale Dramen wie „21 Gramm“ und „Babel“. Oder die mit drei Oscars prämierte Showgeschäft-Satire „Birdman“. Das Überlebensdrama „The Revenant“ stellt das alles aber noch in den Schatten, nimmt den Zuschauer mit auf einen Leidensweg, wie man ihn derart hautnah und schonungslos wohl kaum je auf der Leinwand erleben durfte.
Wilder als der Wilde Westen
Erzählt wird die Geschichte des Trappers Hugh Glass (DiCaprio), der lange Zeit bei den Pawnees gelebt und dort eine Indianerin geheiratet hat. Nach ihrem Tod schlagen er und sein Halbblut-Sohn Hawk sich 1820 als Scouts für Pelzjäger durch, die sich auf der Jagd in Indianergebiet vorgewagt haben. Der Wilde Westen mag rau gewesen sein, die Zeit davor aber, um die es hier geht, war chaotisch, lebensfeindlich, ganz und gar gesetzlos.
Wenn die ersten Pfeile der Ureinwohner nach leisem Sirren die Körper der Eindringlinge durchschlagen, dann ahnt man in dieser Großaufnahme bereits, mit welchem Realitätsanspruch der Regisseur die Epoche zum Leben erwecken will. Kameramann Lubezki durfte bei der Arbeit nur natürliches Licht verwenden, alle Szenen wurden, was viel teurer ist, in chronologischer Reihenfolge gedreht. Andernfalls hätte man DiCaprios Leidens-Part wohl nie derart intensiv gestalten können. Glass nämlich wird auf dem Rückzug zu einem sicheren Fort im Wald von einer Bärin angegriffen. Zweimal macht das Tier sich danach über sein Opfer her, (ein Wunderwerk der Computeranimation) – danach ist der Angegriffene nur noch ein blutiges Bündel.
Gequälter Körper, der Kamera ganz nah
Man kann den Schwerverletzten nicht mitschleppen, stattdessen sollen zwei Männer bei ihm Wache halten, bis Hilfe kommt – oder der Tod eintritt. Der verschlagene Fitzgerald (großartig in seiner Schukenrolle: Tom Hardy) jedoch will die Sache abkürzen, tötet Glass‘ Sohn und lässt den vermeintlich Sterbenden ganz ohne Waffe zurück. Der Mord an seinem Sohn hält den Scout fortan am Leben. „Atme“, hat seine Frau einmal zu ihm gesagt, „denn dann lebst du.“ Nach diesem Prinzip handelt er nun, widersteht der Kälte, indem er sich in ausgeweidete Tierkadaver zwängt. Kommt mit seinem gequälten Körper manchmal der Kamera so nahe, dass sein Atem sich auf die Linse legt. Wird selbst zum Tier, wenn er den Hunger notdürftig mit ein wenig rohem Fleisch oder Fisch stillt. Einmal pflegt ihn ein Indianer mit Heilkräften, der aber kurz darauf von französischen Freischärlern aufgehängt wird. „Wir sind alle Wilde“ steht auf dem Brett, das sie dem Leichnam umhängen – eine der wenigen Stellen, an denen der Regisseur eine Botschaft platziert. Ein anderes Mal ist es die Großaufnahme eines Toten, aus dessen Brusttasche unversehens ein kleiner Vogel schlüpft.
„Ich war schon einmal tot“
Der Filmtitel sagt eigentlich schon alles über das Schicksal des Helden. Der „Revenant“ ist ein Widergänger, jemand, der von den Toten auferstanden ist. Dieser wird angetrieben vom Hass auf den Mörder des Sohnes und von den fortwährenden Einflüsterungen seiner getöteten Frau. Wie sagt er doch gegen Ende auf die Frage, ob er keine Angst habe? „Ich war schon einmal tot.“
Und wir haben es miterlebt.