Essen. Der amerikanische Autor Dan Brown entschlüsselt in seinem irren, wilden, bitteren Thriller „The Lost Symbol” die Zeichen unserer Zeit. In einer Welt, die so oberflächlich wie sinnlos scheint, lockt Brown mit Ordnung und Bedeutung.

Der Meister der Zeichen und Zeitzeichen lockt uns auf historische Spuren. Ein „Symbologe” entschlüsselt die Welt eines Geheimbundes, hetzt von Enthüllung zu Enthüllung, begleitet von einer klugen Schönen. Sein Gegenspieler ist ein Mensch, der kaum Mensch zu sein scheint: eine tätowierte Kampfmaschine, die mittels eines „verlorenen Symbols” Allwissenheit und somit Allmacht anstrebt. Nur die Weisheiten alter Männer und die technischen Finessen des Geheimdienstes könnten ihn noch aufhalten, aber – Szenenwechsel, Kursivschrift, Ausrufezeichen!

Anno 2003 knackte Dan Brown auf diese Weise mit seinem Roman „The Da Vinci Code” (dt: „Sakrileg”) auch den Code des Erfolgs. Nun bedient er sich im aktuellen Thriller „The Lost Symbol” (Bantam Books, 509 S., 18,90 Euro) altbewährter Zutaten, die er in Dürers Kunst, in Newtons Physik sowie in steinernen Pyramiden zu finden versteht. In einer Welt, die so oberflächlich wie sinnlos scheint, lockt Brown mit Ordnung und Bedeutung – wer aber meint, er befände sich im immergleichen Weltverschwörungstheater, folgt einer falschen Fährte. Denn tatsächlich spiegelt Brown in Abweichungen zur eigenen Überlieferung die Zeichen der Zeit – Körperkult, Sudoku oder Internet an der erheiternden Oberfläche, fehlgeleitetes Religions- wie Politikverständnis in der bestürzenden Tiefe.

Aufklärung, Brüderlichkeit, Toleranz, Humanität

Sieben Übersetzer

Wörter-Rätsel

Das Wort aller Worte sucht Robert Langdon im Roman. Ganz ähnlich geht es sieben Übersetzern, die im Lübbe-Verlag „Das verlorene Symbol" in nur zehn Tagen gemeinsam ins Deutsche übertragen und vor im Werk zentralen Doppeldeutigkeiten stehen: „temple" meint Tempel und Schläfe, „the order" ist der Orden und die Ordnung . . . Wie die sieben Weisen diese Rätsel wohl lösen?

Worum geht es? Soviel wollen wir verraten von der Handlung eines Romans, der erst am 14. Oktober auf Deutsch erscheint: Professor Robert Langdon, der „Symbologe”, wird von seinem langjährigen Mentor Peter Solomon eingeladen, einen Vortrag im Washingtoner Capitol zu halten. Dort aber erwartet ihn ein Verbrechen, das zugleich Rätsel ist: Die abgehackte, tätowierte Hand Solomons deutet auf das Deckengemälde in der Rotunde; die Hand trägt einen Ring, in den die Zahl 33 eingraviert ist – er weist den entführten Peter Solomon als Mitglied der Freimaurer aus.

Damit greift Brown eine bekannte, aber in Vergessenheit geratene Tatsache auf: Die Freimaurer – gegründet im 18. Jahrhundert von Männern, die sich den Idealen der Aufklärung, der Brüderlichkeit, Toleranz, Humanität verpflichtet fühlten – hatten an der Entstehung der USA reichlich Anteil. George Washingtons eigene Mitgliedschaft ist verbürgt. Brown sieht den eigentlich gar nicht so geheimen Geheimbund bei den Guten, deren gedankliches wie städtebauliches Erbe als Achse in der US-Hauptstadt noch heute erkennbar ist.

Das Gewicht der menschlichen Seele

Der Böse ist: vom Typ Lord Voldemort. Entsprungen aus J.K. Rowlings Zauberwelt, den weißen Magiern durch Blutsbande verbunden, nun aber auf schwarzen Abwegen. Er nennt sich selbst Mal'akh und ein „Kunstwerk”, er praktiziert magische Rituale, mit denen er, ja, was will dieser Wahnsinnige eigentlich? Die Bedrohung durch das Böse an sich wandelt sich im Laufe des Romans zum Familiendrama, zu Lasten der Spannung. Interessant aber ist: Wenn die CIA Mal'akhs wegen eine Krise der Inneren Sicherheit ausruft, verbirgt sich dahinter nicht die Furcht um die, sondern die Furcht vor den Bürgern des Landes: vor der Macht der öffentlichen Meinung über das Treiben der Regierungselite. Sind wir schon so weit? Irre.

Vielleicht also müsste diesmal eher die Politik als die Kirche sich angegriffen fühlen, obschon Brown mit einem ins Weltliche übertragenen Pantheismus auch diese reizen dürfte: Nicht alle Götter sind ein Gott, alle Menschen sind ein Gott. Unterstützt wird die These durch die Wissenschaftlerin Katherine Solomon, Schwester des entführten Freimaurers, der es gelang, die menschliche Seele zu wiegen und zu beweisen, dass die Kraft der Gedanken physikalische Wirkmacht hat. Wild.

Religion als Supermarkt

Dan Brown, Fabulierer mit einem Hang zur Faktenuntreue, lässt die Wurzeln unserer Kultur (und, so viel sei verraten, der Bibel als deren Fundament) so fremd erscheinen, dass sie schon wieder magisch anziehen – allerdings wohl eher Konsumenten auf der Suche nach spirituellem Mehrwert denn Gläubige, die um Vergebung bitten.

Religion als Supermarkt, der die Ware Erkenntnis feilbietet. Bitter.