Hagen. 1965 erschien hierzulande der erste “Hanni und Nanni“-Band. Damit begann eine Erfolgsgeschichte, die viel über den Wandel des Frauenbildes verrät.
Als Patricia und Isabel hätten die beiden wohl nie Karriere gemacht. In England verkaufte sich die Kinderbuchreihe „St. Clare’s“ von Enid Blyton in den 1940er-Jahren eher schleppend. Erst der deutsche Verleger Franz Schneider taufte die kapriziösen Mädchennamen kurzerhand in Hanni und Nanni um. So wurden die berühmtesten Zwillinge der Literaturgeschichte geboren. Jetzt feiern sie ihren 50. Geburtstag.
15 Millionen verkaufter Bücher
Das Internat ist der Sehnsuchtsort des Jugendbuchs. Hier kann man fern von der elterlichen Kontrolle Freundschaften schließen und Abenteuer erleben. Als am 23. August 1965 der erste Band von Hanni und Nanni in Deutschland erschien, war das Genre Internatsliteratur noch recht unbekannt. Doch die fröhlichen Zwillinge eroberten im Handumdrehen die Kinderzimmer.
Mittlerweile umfasst die Serie 36 Bände, die rund 15 Millionen mal verkauft wurden. In drei Filmen ist der Stoff bislang zum Kassenschlager geworden. Auf die Rente müssen Hanni und Nanni also noch lange warten.
Aus Enid Blytons Feder selbst stammen allerdings nur sechs der Geschichten. Die erfolgreiche britische Autorin starb bereits 1968 im Alter von 71 Jahren. In Großbritannien erreichten „Dolly“ und „Die schwarze Sieben“ wesentlich höhere Auflagen als Patricia und Isabel. In Deutschland hingegen laufen die Zwillinge so gut, dass sie bis heute von anderen Autorinnen unter dem Namen Blytons fortgeschrieben werden.
Ein halbes Jahrhundert Hanni und Nanni zeigt, wie sehr sich das Frauen- und Mädchenbild gewandelt hat. „Fräulein“ Theobald gibt es nicht mehr. Die Schuldirektorin ist unterwegs zur Frau geworden. Mamsell kann das nicht passieren, denn die Anrede Madame würde überhaupt nicht zu der schrulligen Französischlehrerin passen. In den sechs Blyton-Originalen lernen die Schülerinnen, wie man stopft und flickt. Das steht heute nicht mehr auf dem Plan.
Das Zwillingsmotiv sorgt stets für Verwechslung
„Wir haben die Texte ganz behutsam modernisiert“, schildert Programmleiterin Katharina Braun die Veränderungen, die Hanni und Nanni erfuhren; zum Jubiläum gibt es eine weitere überarbeitete Neuauflage: „Wir versuchen, Tradition und Moderne zu verbinden. Das ist eine Gratwanderung. Aber es geht um starke Mädchen und nicht um dressierte Hausfrauen.“
In den frühen Bänden stehen normale Teenager-Probleme im Mittelpunkt: Petzen, Angebereien, falsche Verdächtigungen. In den fortgeschriebenen Büchern überschreiten Hanni und Nanni bekommt soziales Engagement Gewicht. Den Autorinnen ist es sogar gelungen, Männer in den Lindenhof einzuschmuggeln – einen Hausmeister, dessen Enkel von den Schülerinnen angeflirtet wird.
Fast in jedem Band gibt es eine Mitschülerin, die sich nicht integrieren kann. An diesen Fällen werden ethisch-moralische Spielregeln diskutiert. Hannis und Nannis Freundinnen sind unterschiedlich begabt, jede zeichnet sich durch etwas aus, das sie besonders gut kann. Die Botschaft: Verantwortung übernehmen. Und immer sorgt das Zwillingsmotiv für lustige Verwechslungen.
Die Sprache hat sich verändert
Aber warum sind Erich Kästners Luise und Lotte aus dem „Doppelten Lottchen“ nicht zum Synonym für literarische Zwillinge geworden? Das liegt möglicherweise an der Radikalität des Kästner-Stoffes. Er ist das erste Kinderbuch der Nachkriegszeit, in dem das Thema Scheidung angesprochen wird. Bei Hanni und Nanni hingegen verursachen Eltern zwar Kummer, wenn sie krank werden oder ins Ausland müssen. Alleinerziehende Mütter jedoch sind in den frühen Ausgaben immer Witwen.
Verändert hat sich auch die Sprache in Hanni und Nanni. Begriffe wie „hochnäsig“ sind durch „arrogant“ ersetzt worden, das Müttergenesungswerk durchs Rote Kreuz. Die Sätze kommen kürzer daher, es gibt weniger Dialoge. Und das empfohlene Lesealter wurde von zehn auf acht Jahre gesenkt. Katharina Braun: „Bestimmte Themen werden immer jünger. Früher haben Mädchen bis 14 mit ihren Barbiepuppen gespielt, heute wollen sie sich schon mit sieben schminken.“