Essen. In seinem Roman „Das kurze Leben des Ray Müller“ skizziert Ralf Bönt einen neuen Typ Mann. Einen Vater, dessen Innensicht ein emanzipatorischer Aufschrei ist.

Wenn ein Kind das Licht der Welt erblickt – dann steht der Mann daneben. Mit der Stunde der Geburt beginnt Ralf Bönts neuer Roman, es ist zugleich eine Stunde der ersten Erkenntnis: Dass der Vater immer erst an zweiter Stelle kommt, aus aller Innigkeit zwischen Mutter und Kind ausgeschlossen ist.

Marko Kindler heißt der frischgebackene Vater, der ein wirklicher Vater sein will: seinem Kind nahe. Lycile und der kleine Ray aber bilden eine so unerschütterliche Einheit, dass er nur einen Ausweg sieht. Und sein Kind entführt. Eine dramatische Geschichte, die Bönt in Rückblenden erzählt, als Kindler längst gefasst ist und im Verhörraum wartet. Von hier aus entwirft Bönt ein Männerleben, dessen unerwartete Innensicht einem emanzipatorischen Aufschrei gleichkommt.

Eine neue Figur der Gegenwartsliteratur

Denn wenn Kindler mit einer schweren Erkrankung kämpft und auch darum, als Mann überhaupt krank und schwach sein zu dürfen, dann erzählt Ralf Bönt ein wenig auch von sich und einer eigenen Schilddrüsen-Erkrankung. Der studierte Physiker, der mit einem Roman über Michael Faraday („Die Entdeckung des Lichts“) Erfolge feierte, hatte zuletzt mit einem Manifest unter dem Titel „Das entehrte Geschlecht“ von sich reden gemacht. Darin forderte er das Recht auf Krankheit ebenso wie das Recht auf ein „karrierefreies“ Leben – zugunsten der Familie.

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Glücklicherweise ist „Das kurze Leben des Ray Müller“ aber doch mehr als ein Thesenroman. Kindlers Erkrankung beschert ihm eine Ärzte-Odyssee, aber auch die enge Freundschaft zu einer New Yorker Malerin.

Bönt gelingt es, Stimmungen in Bilder zu fassen und mit leichter Hand einen neuen Typ Mann zu skizzieren. Denn dieser arme Marko Kindler, herabgewürdigt von Sorgerechtsdebatten mit der Exfrau oder der Lieblosigkeit der eigenen Mutter, scheitert – typisch weiblich! – an den eigenen Ansprüchen. Schriftsteller Ralf Bönt hat der Gegenwartsliteratur eine neue Figur geschenkt. Und einen bewegenden Mann.