Berlin. 700 kleine Kinos boykottieren den neuen “Avengers“-Film . Viele Kinogänger müssen allerdings nicht nur für diesen Film einige Kilometer zurücklegen.

Für die Kinos auf dem Land ist es ein Kampf wie der von David gegen Goliath. Für Comic-Fans bedeutet der Boykott von rund 700 Kinos gegen den am Donnerstag gestarteten Film "Avengers: Age of Ultron", mit dem die Betreiber gegen die Preispolitik des Disney-Konzerns protestieren, unter Umständen vor allem eins: eine längere Fahrt ins Kino.

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Die ist für viele Kinofreunde in Deutschland allerdings ohnehin Alltag - völlig unabhängig davon, ob sich die Kinobetreiber gerade mit einem Filmgiganten überworfen haben oder nicht. Denn in Deutschland geht nicht nur die Zahl der Kinos insgesamt zurück (von 1744 im Jahr 2009 auf 1630 im Jahr 2014), sondern damit auch die Zahl der Städte und Gemeinden, die überhaupt noch über ein Kino verfügen.

"Das ist die Zahl, die am meisten Sorgen bereitet", sagt der Leiter der Statistischen Abteilung und Marktforschung der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO), Wilfried Berauer. "Denn die Erfahrung zeigt: Wo ein Kino verschwindet, kommt so schnell nicht wieder eins hin." Im Jahr 2009 hatten laut Zahlen der Filmförderungsanstalt (FFA) in Berlin noch 976 Kommunen ein Kino, fünf Jahre später, im Jahr 2014, waren es nur noch 883.

Umstellung auf digitale Projektion war teuer

Den Grund dafür sieht der Chefredakteur der Fachzeitschrift "Cinema", Artur Jung, im Schwund beim jungen Publikum - gerade auf dem Land. "Es wird schwierig, die jungen Leute dazu zu motivieren, ins Kino zu gehen", sagt er. "Das Internet mit Video-on-Demand-Angeboten wie Netflix ist zu einer massiven Konkurrenz geworden. Im Prinzip kriegen sie alles relativ zeitnah direkt ins Haus geliefert."

Da muss es schon das ganz besondere Kinoerlebnis sein - mit Sesseln, die mindestens so bequem sind wie zu Hause, einer Leinwand, die größer ist als der eigene Flachbildfernseher, 3D-Technik und ausgeklügeltem Soundsystem. Für kleine Kinos auf dem Land ist das oft einfach zu teuer. "Da haben wir das große Invest-Problem."

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Die Kinobetreiber hätten finanziell in jüngster Zeit einiges stemmen müssen, sagt Andreas Kramer vom Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF). Sie mussten die Technik auf digitale Projektion umstellen - pro Leinwand waren das Kosten von 70.000 bis 110.000 Euro. Auch nach Einführung des Mindestlohnes vor einigen Monaten stiegen die Preise. "Die Luft für Preiserhöhungen ist jetzt erst einmal raus", sagt Kramer.

Kinos schneiden sich "ins eigene Fleisch"

In Deutschland ging im vergangenen Jahr jeder im Schnitt anderthalb Mal ins Kino, der durchschnittliche Eintrittspreis lag bei 8,05 Euro (2009: 6,67 Euro). Deutschland befindet sich europaweit im Mittelfeld. Während eine Karte 2013 hierzulande 7,89 Euro kostete, waren es laut "European Cinema Yearbook" beispielsweise in der Schweiz umgerechnet 12,70 Euro und in Polen 5,22 Euro. Insgesamt machte die deutsche Kinobranche laut FFA im vergangenen Jahr mit rund 122 Millionen Besuchern einen Umsatz von fast 980 Millionen Euro.

Gerade auf dem Land wollten viele Kunden für eine Kinokarte nicht noch mehr zahlen. Auch darum lehnen die Betreiber, die den "Avengers"-Film nun wegen einer Erhöhung der Mietkosten für die Filmkopie auf dem Land von 47,7 auf 53 Prozent pro Ticket boykottieren, eine Erhöhung der Ticketpreise ab. Denn: Wenn das Beispiel Schule macht, könnten Verleiher die höhere Miete künftig auch für Filme verlangen, die nicht so gut laufen wie dieser "Avengers"-Blockbuster.

"Cinema"-Chefredakteur Jung glaubt dennoch, dass die Kinobetreiber sich mit dem Boykott "ins eigene Fleisch schneiden". Schließlich würden sie auf einen sehr umsatzstarken Film verzichten. Disney als Verleih dagegen werde den Boykott womöglich nicht sonderlich bemerken. "Auf dem Land wird nicht der große Umsatz gemacht für die Verleiher", sagt er. "Gerade bei den "Avengers" haben wir fast ein reines Großstadt-Publikum. Und die Kids auf dem Land: Wenn sie den Film sehen wollen, sehen sie den auch" - in der nächsten Stadt oder illegal runtergeladen im Netz. (dpa)