Bochum. Heute für den klassischen Konzertsaal zu komponieren - was für eine Herausforderung: Der Bochumer Stefan Heucke (55) tut es – und kann davon leben. Ein Interview.

Komponisten, sagt ein alter Witz, sind normalerweise lange tot. Aber vor uns sitzt der Bochumer Stefan Heucke, sprudelnd, hellwach, witzig. Auch so können Tondichter sein. Dabei werden seine Werke neben Bach und Schubert im Konzertsaal aufgeführt. Lars von der Gönna sprach mit Stefan Heucke über einen Beruf der besonderen Art.

Wie reagieren Menschen, wenn Sie ihren Beruf nennen: Komponist?

Stefan Heucke: Sie stellen mir fast alle dieselbe Frage: Kann man davon leben?

Kann man? Angeblich betrug Ihr Stundenlohn mal 90 Pfennig – und da waren Sie schon ausgebildet...

Stefan Heucke: Stimmt: meine erste Auftragskomposition für den Kirchentag im Ruhrgebiet 1991. Da musste ich mein Geld hauptsächlich mit Unterrichten verdienen. Seit etwa zehn Jahren kann ich wirklich vom Komponieren leben. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist.

„Lass den Quatsch“, hieß es einst in der Familie

Gab es Verständnis, als Sie sich einst für etwas derart Brotloses entschieden haben?

Stefan Heucke: Eher Unverständnis. Wenn heute ein Kind freiwillig komponiert, würden ja alle Kopf stehen oder bei Arte anrufen, damit ein Fernsehteam anrückt. Bei mir sagte man: „Lass doch den Quatsch, davon kann doch keiner leben.“(lacht)

ZUR PERSON

Wahl-Bochumer seit vielen Jahren ist der 1959 geborene Stefan Heucke. Klavier und Komposition studierte der Henze-Preisträger in Dortmund Heuckes Schaffen ist vielschichtig. Herausragend neben der Auschwitz-Oper sein Tanzoratorium „Die Ordnung der Erde“, zuletzt die Oper „Iokaste“ bei den Ruhrfestspielen, dazu Kammermusik, geistliche Musik. Für Martin Stadtfeld plant Heucke ein Klavierkonzert.

Wie war Ihr Zuhause?

Stefan Heucke: Mein Vater war Postbeamter. Er liebte Musik, hörend. Ich dagegen saß schon mit acht mit meiner Blockflöte und habe aus drei Tönen Kompositionen gemacht. Dann habe ich mir mit zehn Harmonielehre und solche Dinge angeeignet. Der einzige familiäre Impuls war, dass mein Vater sich sonntags vor den Schallplattenspieler setzte, um eine Beethoven-Sinfonie zu hören. Wir Kinder durften dazukommen, aber wehe, man quatschte: Das war verpönt! Das habe ich verinnerlicht, bis heute ist es mir unerträglich, Musik als Hintergrundgedudel zu hören.

„Er kann ja Musiklehrer werden“

Und Sie haben trotzdem gesagt: „Ich werde Komponist!“?

Stefan Heucke: Ich weiß noch, wie der Rektor bei meinem Wechsel aufs Gymnasium nach meinem Berufswunsch fragte und ich genau das antwortete. Mein Vater hat dann fast entschuldigend gesagt: „Na ja, wir sehen mal. Er kann ja Musiklehrer werden.“ Das erschien beiden Herren deutlich ehrenwerter. (lacht).

Sie sind für einen zeitgenössischen Komponisten vielgespielt...

Ja, ich habe mit meiner Musik eben auch einen Platz im bürgerlichen Konzertleben gefunden. Meine Stücke sind repertoirefähig. Vom Honorar einer Auftragsarbeit allein kann man nicht leben. Zumal ich wirklich immer nur ein Stück komponiere.

„Ich fange mit dem ersten Ton an und höre mit dem letzten auf“

Nur eines, was heißt das?

Stefan Heucke: Das heißt, es geht nichts anderes. Und wenn es ein Jahr dauert: Dazwischen gibt es nicht das kleinste andere Stück. Ich komponiere auch total linear. Ich fange mit dem ersten Ton meines Werkes an und höre mit dem letzten auf. Das Schwierigste ist der Anfang: Die Tür aufzumachen, die den Hörer mitnimmt in die neue Klangwelt. Ich käme nie darauf, anderswo hin zu springen. Das möchte ich für meine Musik: dass alles was man hört, so ist, als könne es gar nicht anders sein. Nur so wird es ehrlich.

Wie komponiert ein Komponist heute? Geht alles per PC?

Stefan Heucke: Bei mir nur von Hand. Ich sitze ab halb acht und schreibe, wie es Komponisten seit hunderten von Jahren tun. Ich brauche dazu kein Klavier. Ich schreibe fünf, sechs Stunden aus dem Kopf. Danach bin ich erledigt, richtig kaputt.

Träumen Sie von Ihrer Arbeit?

Stefan Heucke: Als ich die Oper „Das Frauenorchester von Auschwitz“ geschrieben habe, hatte ich grausige Albträume. Todesspritzen von Mengele für meine Freunde, solche Sachen. Aber sobald ich ein Stück beendet habe, ist all das vorüber. Es ist wirklich fertig. Das führt sogar zum Vergessen. Höre ich Jahre später etwas von mir im Konzertsaal, kann das sogar peinlich sein. Fragt mich dann jemand im Publikum: „Was haben Sie damit gemeint?“, kann ich das oft gar nicht mehr sagen.

Für eine Kunst, „die uns hilft, bei uns Mensch zu bleiben“.

Zeitgenössische Musik ist keine leicht zu verstehende Sprache. Haben Sie eine Botschaft?

Stefan Heucke: Ich plane ein großes Opernprojekt zu Thomas Manns „Josephsroman“. Er erzählt von einem gelingenden Leben, weil da jemand aufmerksam ist mit sich selbst und für das, was Gott mit ihm vor hat. Das ist eine Botschaft, mit der ich viel anfangen kann: Offen sein für den Segen, der aus einem selbst kommt und für das, was einem geschenkt wird. Die Lawinen schlimmer Nachrichten führen ja bei uns nicht mehr zu Aufbegehren, sondern zu Lähmung. Ich finde, dass wir eine Kunst brauchen, die uns hilft bei uns selbst Mensch zu bleiben. Jeder, der das für sich schafft, der wird auch andere wie Menschen behandeln. Das ist meine Utopie, auch für meine Musik.