Hagen. . Hagen bildet eine international einzigartige Fundlandschaft für die Ur- und Frühgeschichte. Grund ist ein riesiges Korallenriff.

Das Korallenriff ist so gigantisch, dass selbst Steven Spielberg es nur mit Mühe auf die Kinoleinwand bringen könnte. Fast einen Kilometer hoch, erstreckt es sich vor 384 Millionen Jahren von Düsseldorf bis Brilon. Südwestfalen liegt am Äquator. Quastenflosser, Stachelhaie und Panzerfische tummeln sich im subtropischen, flachen Meer entlang der Küste.

Dann fällt der sauerländische Teil der Monsterklippe trocken. In Hollywood wäre der Film jetzt zu Ende. Bei uns fängt die Geschichte damit aber erst an. Denn dieses urzeitliche Korallenriff ist der Grund, warum der älteste Westfale ein Hagener ist und Hagen mit dem nordwestlichen Sauerland eine international einzigartige geologische und archäologische Landschaft bildet.

Viele Rekord-Entdeckungen

Viele Rekord-Entdeckungen sind hier gemacht worden: die frühesten Funde von Landpflanzen in Westfalen, die weltweit frühesten Funde von vollständig erhaltenen Großinsekten, die ersten bekannten Menschenreste aus der Nacheiszeit in Europa und die ältesten Überreste anatomisch moderner Menschen in Westfalen. Das Sauerland war in der unteren Kreidezeit zudem ein Saurierland, aber auch die ersten Säugetiere wurden hier ausgegraben.

Im Museum Wasserschloss Werdringen in Hagen-Vorhalle kann man anhand zahlreicher kostbarer Original-Fossilien und Artefakte die Entstehung der Erde und Entwicklung des Menschen praktisch auf den Spuren der eigenen Vorfahren kennen lernen. „Das Museum beherbergt herausragende Funde“, unterstreicht Ralf Blank als Wissenschaftlicher Leiter der Archäologischen und Historischen Museen und Archive in Hagen. „Es hat Bedeutung für die ganze Region und blickt auf eine über 200-jährige Sammlungs- und Forschungsgeschichte zurück.“

Der idyllisch am Ruhrtalradweg gelegene frühere Adelssitz ist eine Schatzkammer mit Gegenwartsbezug. Er liegt mitten in einer Fundlandschaft, in der ganz aktuell auf höchstem Niveau geforscht wird und in der täglich mit neuen Erkenntnissen zu rechnen ist. So haben die Grabungen in der Blätterhöhle in Hagen-Holthausen ergeben, dass auf dem Stand von mittelsteinzeitlichen Jägergruppen lebende Gemeinschaften und jungsteinzeitliche Ackerbauern für zwei Jahrtausende nebeneinander existierten. Bis dahin war man überzeugt, dass die Wildbeuter verschwanden, nachdem die erfolgreicheren Landwirte sich vor rund 7000 Jahren etablierten.

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Vermittlung wird groß geschrieben

„Wir kooperieren mit dem LWL-Naturkundemuseum in Münster, dem LWL-Archäologiemuseum in Herne und der Bodendenkmalpflege sowie mit Universitäten und Instituten“, beschreibt Blank den wissenschaftlichen Alltag. Museum bedeutet hier keine rückwärtsgewandte Konservierung, sondern aktiv erlebte und neu entdeckte Vergangenheit. Die Vermittlungsarbeit durch die Museumspädagogik wird groß geschrieben, das zeigen die teilweise binnen kurzer Zeit ausgebuchten Exkursionen in Steinbrüchen und Höhlen.

Das alles ist das Vermächtnis des urzeitlichen Korallenriffs, das unter einem riesigen Gebirge verschwand, dessen Restsockel unter anderem das heutige Sauerland ist. Die Korallen und zahllose Kleinstlebewesen sind im Laufe von Jahrmillionen zu Massenkalk geworden. Im Gestein wurde die fossile Tierwelt des subtropischen Riffs konserviert. Durch Verkarstung bildete der Massenkalk in den jüngsten Erdzeitaltern zudem tiefe Schluchten, Felsklippen und Höhlen aus, wie sie typisch für die Landschaft in Hagen und dem Märkischen Kreis sind. Der Historiker und Archäologe: „Die Höhlen sind wertvolle Bodenarchive der Menschheitsgeschichte. Während die meisten Höhlen in Sauerland bereits vor 100 Jahren ausgeräumt wurden, ist die Hagener Blätterhöhle eine der wenigen noch von Menschen ungestört erhaltenen Kulturhöhlen in Deutschland.“

Spannendes Stück Erdgeschichte

Wie bedeutend Archäologie und Geologie als Alleinstellungsmerkmale von Hagen und dem Sauerland überregional sind, zeigt das Beispiel einer etwa 20-jährigen jungen Frau, die vor rund 5600 Jahren in der Blätterhöhle bestattet wurde. Sie gehörte zur Gruppe der Wildbeuter – die Ureinwohner Europas während der Jungsteinzeit. Ihr zusammen mit weiteren Teilen ihres Skeletts freigelegter Schädel erhält nun in einem Forschungsprojekt sein früheres Aussehen zurück und wird als Botschafterin für die große archäologische Landesausstellung werben.

Die Gesichtsrekonstruktion zeigt dann, wie die junge Frau aus der Jungsteinzeit ausgesehen hat, und zwar bis hin zur Farbe von Augen und Haaren, aber auch ihrer Herkunft, die aus genetischen Untersuchungen an den Skelettresten abgelesen werden können.