Düsseldorf. Enorme Ensembleleistung, rasante Inszenierung: Mit der deutschsprachigen Erstaufführung von Joël Pommerat zeigt Düsseldorfs Schauspielhaus sich in starker Form.
Der Tod ist schon da – das ist er ja immer. Ein bleicher Schädel schiebt sich durch den Vorhang, dann erscheint der ganze Kerl: ein Conférencier, ein Life-Coach, agil, motiviert, gut gelaunt. Er legt den Totenkopf beiseite. „Geht es Ihnen gut?“ Und schon ist der Saal mittendrin in dieser Show mit dem Namen „Unendlichkeitsspiel“, in die der französische Theaterautor Joël Pommerat seine „Kreise/Visionen“ verpackte.
Im Turbogang geht es durch Zeit und Raum, vom Mittelalter über das 20. Jahrhundert bis ins Heute, vorbei an Neppern, Schleppern, Bauernfängern, an goldenen Kälbern und Heilsversprechen. Am Ende steht man wie durchgeschüttelt da und muss erkennen: In diesem Spiel gibt’s keine Gewinner.
Mit Pommerats Episodenstück von 2010 bringt das Schauspielhaus eine deutsche Erstaufführung auf die Bühne: „Kreise/Visionen“, ein existenzieller Reigen, vergleichbar mit Filmen wie „Cloud Atlas“.
Ein flotter Abend
Hans-Ulrich Becker hat einen flotten Abend inszeniert. Das ist eine Kunst für sich: 15 Schauspieler verkörpern hier rund 70 Rollen. Ohne die imposante Mannschaft geht es nicht; Pommerat erzählt acht Geschichten, verpackt in verschachtelte Episoden, die in verschiedenen Zeiten spielen. Ein schwindelerregendes Konzept.
Da ist die Aristokratin, die 1900 die Moderne beschwört und dennoch ihr krankes Kind verliert, aller Wissenschaft zum Trotz. Da ist der Adelige, der vor dem Ersten Weltkrieg die Standesgrenzen niederreißen möchte und am Begehren nach einem Diener scheitert. Ein Ritter bricht 1350 den Lehnseid und stellt Gott an den Pranger. 2005 findet sich ein Karrierist durch die Zauberkunst zweier Obdachloser, eigentlich Hexen, in der Vorstandsetage wieder. Macbeth lässt grüßen.
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Überflieger ohne Glück
Und dann ist da eine Gruppe Arbeitsloser 2009, die vom Vorstandsmitglied Jansen gecoacht wird. Jansen ist ein Überflieger. Doch sein Sohn ist todkrank. Als er versucht, Obdachlose für eine Organspende zu kaufen, scheitert er am Gesetz der Straße. Das Stück ist schnell geschnitten, auf nahezu leerer Bühne gespielt. Schwarze Wände formen sich zu immer neuen Räumen. Ständiger Begleiter ist der Conférencier (famos: Andreas Grothgar). Erst wirkt er wie ein Butterfahrtverkäufer, am Ende trägt er teuflische Züge. Ihm wurde ein Metallica-Song zugeschrieben: „King Nothing“: „Oh, you’re just nothing. Absolutely nothing“.
Und darum geht es. Am Ende schließen sich die Kreise des hervorragend gespielten Abends. Mag sich die Welt mit ihren Normen auch wandeln, der Mensch bleibt gleich. Ein Glückssucher, der Götzen anbetet.
Und während sich 2009 ein Handelsvertreter mit einer Lebensberatungs-Bibel unter dem Arm Werte der Ritterzeit zurückwünscht, Treue, Mut, Haltung – schlufft hinten wieder der echte Ritter vorbei: nackt, gebrochen. Alles schon mal dagewesen. Und so gibt es letztlich keine Erlösung, keinen Sieg, sondern nur ein Schicksal. Was soll’s. Dabeisein ist bekanntlich alles.