Essen. . Die Geschichte des Wortes “Lügenpresse“ von den Schützengräben des Ersten Weltkriegs über das „Dritte Reich“ bis zum RAF-Jargon und den Neonazis.

Wenn das die Pegida-Demonstranten in Dresden und anderswo wüssten: Der von ihnen so geschätzte Begriff der „Lügenpresse“ wurde im Laufe der Geschichte durchweg von hauptberuflichen Lügnern benutzt – sie dürften den Begriff eigentlich nur noch mit spitzen Fingern anfassen.

Schon kurz nachdem die Erfindung automatischer Druckmaschinen Mitte des 19. Jahrhunderts ei­ne Massenpresse entstehen ließ, gab es Autoren, die – fast immer in Büchern – einzelne Zeitungen als „Lügenpresse“ abqualifizierten, um gegen Artikel zu polemisieren.

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Millionenfache Wiederholung

Des Öfteren wetterten dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts völkisch-nationalistische Ideologen gegen die „Lügenpresse“. Doch eine große Verbreitung bekam der Begriff im Ersten Weltkrieg. Propagandisten des Kaiserreichs wie Reinhold Anton bezichtigten die russische, englische und französische Presse der Lügenpropaganda, wenn die etwas über deutsche Kriegsgräuel schrieb.

Fast in jedem Kriegsjahr erschienen in der Reihe „Schützengraben-Bücher für das deutsche Volk“ Bände wie „Der Lügenfeldzug“ oder „Die Lügenpresse unserer Feinde“. Das war wie eine Aktualisierung des antiken Paradoxons: „Alle Kreter lügen“, sagt ein Kreter. Auch der Historiker Alfred von Harnack schrieb von einer „internationalen Lügenpresse“. Und rasch war die verschwörungstheoretische Unterstellung in der Welt, die gesamte ausländische Presse sei aus einer Hand gesteuert.

Allgemeingut durch millionenfache Wiederholung

Geradezu strategisch genutzt wurde der Begriff dann von den Nationalsozialisten. Sie diffamierten in der Weimarer Republik die freiheitlich-demokratischen Zeitungen als „Lügenpresse“. Für den NS-Chefpropagandisten Goebbels gehörte das Wort zu den schlagkräftigen Kernbegriffen, mit der die eigene Propaganda so pauschal wie wirkungsvoll als „Wahrheit“ hingestellt wurde.

Durch millionenfache Wiederholung wurde es im „Dritten Reich“ zum Allgemeingut – ähnlich wie der Begriff „Journaille“, den der Schriftsteller Karl Kraus nach Vorbild der französischen „Canaille“ gebildet hatte, und der von Partei-Organen wie dem „Stürmer“ und Rednern der Nazis dankbar aufgegriffen wurde. Die Diffamierung der Gegner war wirkungsvoller als jede Auseinandersetzung mit Argumenten. Und die Formel entsprach dem propagandistischen Gebot der radikalen Vereinfachung.

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Nicht nur ein Begriff von rechtsaußen

Im Zweiten Weltkrieg ändert sich die Zielrichtung wieder, denn in Deutschland sind die Zeitungen gleichgeschaltet. Nun richtet sich der Begriff wieder gegen das Ausland. Im „Völkischen Beobachter“ kündigt 1942 ein Artikel die „Lügenpresse im Scheinwerferlicht“ an, listet „demokratische und bolschewistische Kriegsgerüchterstattungsorgane“ im Ausland auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte sich, dass der Begriff nicht nur rechtsaußen verwendet wird. In der DDR werden gelegentlich westliche Zeitungen und Sender als „Lügenpresse“ abqualifiziert. Auch im Jargon der RAF-Terroristen und der linken autonomen Szene gab es die Rede von der „Schweine-“ oder „Lügenpresse“. In Zeiten der Wende von 1989 wurde aber auch das SED-Parteiorgan „Neues Deutschland“ von Oppositionellen als „Lügenpresse“ bezeichnet.

In jüngster Zeit aber gehört das Wort wieder mehr der Neonazi-Szene; 2012 wurden bei der Lausitzer Zeitung, die über Rechtsextremismus in Brandenburg berichtet hatte, Fenster mit der Parole „Lügenpresse – halt die Fresse!“ besprüht. Die Variante „Lügen-Presse – auf die Fresse“ ist bei der Rechtsrock-Band „Frei.Wild“ zu hören. Beide Parolen gibt es auch auf T-Shirts, die Rechtsradikale im Internet anbieten.