Dortmund. . Aus groß-kleinen Verhältnissen zum gigantischen Party-Auftritt: Marteria lockt mittlerweile fünfstellige Besucherzahlen zu seinen Auftritten, so wie am Wochenende in Dortmund. Dienstag spielt der Rapper mit der Fußballvergangenheit in Düsseldorf

Das Gesamtwerk? Gerade mal drei CDs, von denen die beiden erfolgreichsten auch noch gleich heißen. „Zum Glück in die Zukunft“, Teil 1 und Teil 2. Dennoch: Marteria feiert am Wochenende vor 10.000 Menschen in der Dortmunder Westfalenhalle seinen bislang größten Einzelauftritt. Der Mann, der am 4. Dezember seinen 32. Geburtstag feiert, ist blitzartig in die zugegeben immer noch dünn besetzte erste Liga bundesdeutscher Rapper aufgestiegen.

Bundesdeutsch? Der Mann ist Rostocker im Herzen, auch als Wahlkreuzberger, hat das Kunststück fertiggebracht, seiner schwierigen Heimatstadt im Hip-Hop-Stakkato eine rührende Hymne zu widmen. In Berlin auf „dickes B“ zu machen ist, keine große Übung.

Sein „Rostock“ aber ist so lebensecht und volksnah wie Grönemeyers „Bochum“ vor 30 Jahren. Denn auch sein Publikum ist 30 Jahre jünger – und der Mann bringt es blitzschnell in Partylaune. Knallharte, trockene Schlagzeugrhythmen, knallende Bässe und Zeilen, hart wie die Betonteile eines Plattenbaus. Doch Marteria beherrscht die Kunst, dazwischen Romantik entstehen zu lassen.

Widersprüche umdribbelt der Ex-Kicker auf engstem Raum

Zwischen Hartz IV-Elend, Besäufnis und illusionsarmer Lebenskunst. So hat er die Rostock-Hymne er fern der Heimat nicht gespielt – hier geht es ihm vom Start weg um Gott und die Welt. „OMG“ heißt das Stück mit der simplen Frage, wie, oh mein Gott, man zum Teufel in den Himmel kommt? Widersprüche auf engstem Raum auszudribbeln, ist dem Ex-U17-Nationalspieler in die Wiege gelegt: Was willst du machen, wenn dein Kindheitsort „Groß Klein“ heißt?

Der Ex-Kicker geht steil: Sicher besingt er in bedrückenden Texten wie „Amys Weinhaus“ das Elend in irgendwelchen Absturzkneipen und kriminellen Milieus. Aber er bleibt dort nicht hängen: Was zählt denn nun in diesem absurden Leben? Diese Frage läuft bei Marcel Lavina, Vater Seemann, Mutter Lehrerin, im Hintergrund immer mit. Wer seinen Sohn Louis mit den Reimen begrüßt „Hotel Mama 5 Sterne plus, entscheidest dich aus dem Bauch heraus, pinkelst im Stehen. Meine Gedanken, von Windeln verweht, ne Schwester ruft an, jetzt oder nie. Bist wie dein Vater, kommst immer zu früh“ – der steht im Strom des Lebens und versucht den richtigen Kurs zu ermitteln.

Das Feuer brennt bei den„Bengalischen Tigern“

Vater Marteria spielt mit Worten wie mit Bauklötzen, nimmt den Mund gern voll und bildet eine Wirklichkeit ab, die viele nicht sehen wollen. Beim Song „Bengalische Tiger“ brennen auf der Bühne Bengalos. Man kann das Lied als Hymne auf die Hooligans lesen, man kann es aber auch nehmen als Beschreibung einer Jugend ohne Perspektive und Hoffnung, deren Wut sich auf der Straße entlädt. Was man nicht kann: in Marterias Zeilen irgendeine Legitimation für die Hogesa-Irren finden.

Nein, seine Konzerte sind weder ein schwarzer Block noch eine entspannte Kifferparty, trotz der grünen Wolken seines chromblitzenden Alter Ego Marsimoto, der in der Mitte seines Auftritts für drei Lieder das Mikrofon übernimmt. Seine Konzerte sind eine heillose Party, bei der Marteria seinen Song „Die letzten 20 Sekunden“ zu annähernd 20 Minuten ausreizt, in denen niemand mehr sitzt und er mit Anlauf und Salto in die Menge springt – er riskiert viel, dieser Marteria. Auch eine kurze Unterbrechung, um eine bei dieser Aktion verletzte Frau zu bergen.

Danach wird er von seinem Publikum auf Händen getragen, die Zuschauer reißen sich die T-Shirts vom Leib, nicht bei allen sieht’s aus wie bei dem Ex-Model auf der Bühne, der am Ende beinahe gerührt vor der tobenden Menge steht. Kein Zweifel, der Mann ist auferstanden aus Ruinen. Und hat sich zum Glück der Zukunft zugewandt. Dafür kann er sich zu Recht feiern lassen.