In einer Grundschule in der Stadt Mülheim kommen viele Kinder jeden Tag extra früher zur Schule, um mit Flüchtlingskindern die Sprache zu üben.
Es ist erst 7.55 Uhr, aber die beiden Mädchen Nele (8) und Ozzln (10) sitzen sich schon hellwach gegenüber. „Ist das die Straße?“, fragt Nele. „Nein, das ist der Bürgersteig“, antwortet Ozzln. Nele legt die kleine weiße Karte auf einen blauen Streifen. „Richtig!“, sagt sie. Ozzln wusste das Wort und sie hat den passenden Artikel gesagt. „Der“-Wörter kommen auf den blauen Streifen, „Die“-Wörter auf den roten und „Das“-Wörter auf den grünen.
In der Gemeinschaftsgrundschule Trooststraße in der Stadt Mülheim kommen 23 Kinder morgens extra früher zur Schule, um 23 Flüchtlingskindern beim Deutschlernen zu helfen. Die Seiteneinsteiger lernen natürlich im normalen Schulunterricht auch Deutsch, aber durch das Patenprojekt üben sie noch intensiver.
Kurze Gespräche helfen sehr
Die Lehrerin Simone Schick hatte mit ihrer Kollegin Anne Schachner die Idee für diese Deutsch-Förderung. Beide haben für ihr Lehrbuch des Patenmodells („Einfach Deutsch lernen“) einen Preis bekommen.
„Die Kinder üben in kleinen Dialogen“, erklärt Simone Schick. Einige Zeit lang trafen sich Paten und „Patenkinder“ 15 Minuten vor der Pause zum Üben. Doch immer mal kam etwas dazwischen, etwa wenn eine Klasse schwimmen war.
Kinder sind pünktlich im Klassenraum
Also unternahm Simone Schick einen neuen Versuch: Frühförderung vor Unterrichtsbeginn. „Kommen da überhaupt Kinder?“, fragte man sich im Lehrerkollegium. Aber die Kinder nahmen das neue Projekt mit Begeisterung an. Einverständniserklärungen wurden an die Eltern verschickt, schnell stand das Förderteam fest.
Der Zweitklässler Konrad sagt: „Es macht Spaß, anderen Kindern zu helfen. Sie sollen sich wohl fühlen und unsere Sprache lernen.“ Heute lernt er mit Warvan (8) aus der 2a, der morgens extra eine Bahn früher nimmt, um pünktlich zur Frühförderung im Klassenraum zu sein. Dalil läuft zur Schule, er komme manchmal ein bisschen zu spät, gibt der Zehnjährige zu.
Indischer Junge ist selbst schon Pate
Nele (8) findet es gut, dass es vorher ein Patentraining gegeben hat und dass sie sich die Wörter nicht selbst ausdenken muss. „Es ist alles vorgegeben.“ Auch Aryan (9) ist Pate. Er kommt aus Indien, die Familie ist aus beruflichen Gründen nach Mülheim gezogen. Aryan kann schon so gut Deutsch, dass er es anderen beibringen kann. „Ich helfe den Kindern gern“, sagt er.
Die Kinder trainieren mit den Wortbildkarten Schritt für Schritt die Grammatik: die Artikel „der“, „die“ und „das“, die Verneinung „kein“ und „keine“, die Pronomen „mein“ und „dein“. Später kommen dann die Fälle dazu, etwa der Akkusativ: „Ben hat einen Roller.“
Auch Handpuppen kommen zum Einsatz
Simone Schick und die Lehramtsanwärterin Isabel Kochenrath betreuen die Frühförderung jeden Morgen. „Die Kinder kommen herein, nehmen die Lernbox und legen los“, berichtet Isabel Kochenrath. Alle Kinder wissen genau, was zu tun ist, müssen nicht lange fragen. Gelernt wird ausschließlich mündlich. Manchmal kommen auch kleine Handpuppen zum Einsatz, mit denen Sätze zigfach wiederholt werden, wobei jedes Kind seiner Puppe eine andere Stimme gibt. Im Klassenunterricht seien die Flüchtlingskinder eher zurückhaltend, hier in der 1:1-Situation sei ihr Sprechanteil viel größer, so Simone Schick.
Bei einer Kinderkonferenz durften alle Patinnen und Paten kürzlich ihre Meinung sagen und Vorschläge für Verbesserungen machen. „Sie fühlen sich gut, weil sie etwas bewirken können“, hat Simone Schick festgestellt. „Die Kinder leisten einen grandiosen Beitrag.“ Zur Belohnung soll es im Sommer ein Picknick für alle im Park geben. Das stärkt den Teamgeist und den Austausch. Die Hauptsache ist aber: Alle haben Spaß.
>>> Die Grundschule Trooststraße
Lesen Sie hier einen Bericht über das ausgezeichnete Patenmodell von Simone Schick und Anne Schachner.
Hier geht es zum Sprachpatenmodell auf der Homepage der GGS Trooststraße.