Essen. Yvonne Gebauer, Jens Spahn und Andreas Gassen sind das Trio Infernal der deutschen Corona-Politik. Sie unterschätzen, was da auf uns zukommt.

Haben Sie schon einmal versucht, einem schnaubenden Stier ein rotes Tuch vor die Nase zu halten? Diese Idee ist in etwa so gut, als würden Sie sich mit einem Schulleiter in NRW über Yvonne Gebauer unterhalten wollen, unserer NRW-Schulministerin von der FDP. Ich habe es wiederholt mit der Schulleiterin jener Grundschule versucht, die mein Sohn besucht. Das Gespräch endete mit wüsten Beschimpfungen über „die da in Düsseldorf“, und ich muss sagen: Ich kann es verstehen.

Das ist Klartext

Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.Klartext als Newsletter? Hier anmelden.

Nehmen wir doch einmal das jüngste Beispiel. Müssen die Schülerinnen und Schüler an Rhein und Ruhr vom 2. November an noch Masken im Unterricht tragen oder nicht? Tatsache ist, dass das keiner so genau weiß. Beschlusslage ist, dass die Kinder es „unter Berücksichtigung des Infektionsgeschehens“ nicht müssten. Aber was heißt das schon, wenige Tage vor Ende der Herbstferien? Die Zahl der Corona-Infektionen nimmt bundesweit deutlich zu. Das RKI warnt bereits vor einer dynamischen Situation. Und die Lage wird sich nicht bessern, wenn die Kinder aus dem Urlaub zurück sind und in Klassenräumen sitzen, die aufgrund sinkender Temperaturen nicht mehr in dem Maße gelüftet werden können, wie es vor einigen Wochen noch ging.

Nicht nur in Düsseldorf sprechen die politischen Beobachter darum mal wieder von einem „klassischen Gebauer“: Klarheit? Sicherheit? Kommunikation? Setzen, sechs!

Spahn und „Freedom Day“ Gassen senden die falschen Signale

Auch der Bundesgesundheitsminister machte zuletzt einmal mehr eine unglückliche Figur. Damit, dass Jens Spahn öffentlich findet, die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ könne Ende November ruhig auslaufen, sendete er das falsche Signal. Und auch seine zur Schau gestellte Erleichterung darüber, dass die tatsächliche Impfquote in Deutschland etwas höher liegt als vom RKI zunächst angenommen, war verfehlt. Die maßgeblichen Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen vollständig gegen Covid-19 geimpft sein sollten und mindestens neun von zehn Menschen ab 60. Davon sind wir noch ein gutes Stück entfernt.

Insofern führt auch der wiederholt vom Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas „Freedom Day“ Gassen, bemühte Vergleich mit dem „liberaleren“ Dänemark in die Irre. Die Dänen, die bereits am 10. September alle Vorsichtsmaßnahmen aufgehoben haben, blicken bei den Menschen ab 60 auf eine Impfquote von 96 Prozent. Das ist eine ganz andere Ausgangsbasis. Das dürfte Gassen eigentlich wissen.

Gebauer, Spahn, Gassen – es wäre schön, wenn an den coronapolitischen Schalthebeln der Macht Leute mit mehr Weitblick säßen. Diese würden dann vielleicht erkennen, was zum Beispiel gerade in Osteuropa los ist, in Russland, wo es jetzt eines einwöchigen harten Lockdowns bedarf, aber auch in Großbritannien mit seiner hohen Impfquote.

50.000 Neuinfektionen in Großbritannien

Der dort von Premier Boris Johnson am 19. Juli ausgerufene „Freedom Day“ hat vor allem dem Virus neue Freiheiten geschenkt. Dort ist man jetzt bei 50.000 Neuinfektionen pro Tag gelandet und hat versäumt, rechtzeitig mit den Booster-Impfungen zu starten, die in den USA bald wohl für alle Menschen ab 40 empfohlen werden. Nun peilt man auf der Insel fröhlich die 100.000-Neuinfektionen-Grenze an ...

Do they still have all the cups in the closet? ;-)

Und wie sieht es in Deutschland aus? Nicht einmal zwei (!) Prozent der Bevölkerung haben eine solche Drittimpfung bekommen. Dabei konnte man in Israel beobachten, wie der Impfschutz gerade in der älteren Bevölkerung nach einem halben Jahr deutlich gesunken ist; dort ist man in Sachen Booster jetzt wieder einmal weiter als bei uns. Wer übernimmt für diese gefährliche Verschnarchtheit eigentlich die Verantwortung?

Intensivmediziner schlagen Corona-Alarm

Längst schlagen die Ärzte auf den Intensivstationen Alarm, denn die Zahl der Intensivbetten ist deutlich gesunken, weil viele Pflegekräfte nach den Erfahrungen der vergangenen Monate schreiend davongelaufen sind. Sie alle ahnen, was nun kommt – Gebauer, Spahn und Gassen leider nicht.

Auf bald.