Lüdenscheid/Essen. Unter vielen Straßen lauert eine Feuerfalle. Manche Städte verlegen Kanalrohre aus brennbarem Kunststoff. Dass das gefährlich werden kann, zeigte der Großbrand in Lüdenscheid, bei dem 65 Menschen verletzt und 120 evakuiert wurden. Die Feuerwehr fordert nun, die Baupraxis zu hinterfragen.
Viele öffentliche Kanalrohre sind nicht feuerfest. Der Großbrand in Lüdenscheid am Montag führte der Öffentlichkeit und den zunächst ratlosen Rettungskräften vor Augen, wie schnell ein Rohr Feuer fangen kann. Nach Recherchen der WAZ Mediengruppe könnte sich ein unterirdischer Brand wie in Lüdenscheid jederzeit wiederholen.
In Lüdenscheid war in der Nacht auf Montag, wie berichtet, ein Feuer außer Kontrolle geraten: Als ein Laster in Flammen aufgegangen war, stieg plötzlich dichter, schwarz-brauner Rauch aus der Kanalisation auf. "So etwas habe ich in 27 Dienstjahren noch nicht erlebt", sagte Jörg Weber, Sprecher der Lüdenscheider Feuerwehr. 120 Anwohner mussten evakuiert werden, 65 Menschen hatten Atembeschwerden wegen des giftigen Qualms. Zunächst vermuteten die Rettungskräfte eine chemische Reaktion unter Tage. Tatsächlich brannte ein Kanalrohr - auf einer Länge von 70 Metern.
Über brennendes Benzin gelangt das Feuer unter die Erde
Wenn ein Feuer in die Kanalisation gelangt - etwa über brennendes Benzin -, droht in vielen Städten ein unterirdischer Großbrand. Denn es gibt keine einheitliche Regelung, welches Material für den Kanalbau verwendet werden soll. Während einige Kommunen Betonrohre verlegen, bestehen die Leitungen etwa in Lüdenscheid aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK). "Das ist seit 20 Jahren der Stand der Technik", so Stadtsprecher Wolfgang Löhn. Auch das nun betroffene, 2008 installierte Rohr bestehe daher aus GFK.
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In Expertenkreisen sorgt das für Verwunderung. "Ich habe erst vor kurzem gehört, dass dieses Material überhaupt verwendet wird", sagt Christian Schröder, Regierungsbranddirektor am Institut der Feuerwehr NRW in Münster. Die Ereignisse von Lüdenscheid sind aus seiner Sicht "merkwürdig": Dass sich das Feuer derart ausbreitete, sei "nicht unbedingt vorhersehbar" gewesen. "Man fragt sich, unter welchen Bedingungen das Material geprüft wurde." Der Fall sei brisant. Schröder fordert, die Verwendung von GFK nun zu hinterfragen.
Die meisten Städte vertrauen lieber auf Beton
Kunststoffrohre haben den Vorteil, dass sie sich aufgrund ihres relativ geringen Gewichts leichter einbauen lassen. Zudem sind sie im Vergleich zu Betonrohren nicht so anfällig für Korrosionsschäden. Aber eben brennbar - dennoch kann Kunststoff nicht einfach verboten werden. "Das gäbe einen riesigen Rattenschwanz", so Martin Liebscher vom Institut für Unterirdische Infrastruktur (IKT) in Gelsenkirchen. GFK werde nur in wenigen Städten verwendet. "Das ist ein ganz geringer Prozentsatz." Liebscher plädiert daher für eine Risikoabwägung.
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Zu Unglücken komme es nur selten, betont der Experte. Allerdings weiß niemand, wie viele Menschen verletzt worden wären, hätte sich der Lüdenscheider Brand mitten in der Innenstadt ereignet. Regierungsbranddirektor Schröder: "Alles, was aus Kunststoff besteht, ist eben brennbar."