Essen. Gladbecker Feuerwehrleute fallen – erneut – durch Fremdenfeindlichkeit auf, in Norwegen bringt ein Neonazi 77 Menschen um, und in Zwickau zeigt der Skandal um den mordenden Nationalsozialistischen Untergrund, wie stark der rechte Terror in Deutschland vernetzt ist. Das sind die Extreme in der sich der Rechtsextremismus in Deutschland und Europa bewegt – auch wieder 2011.
Der Attentäter von Norwegen
Im Sommer erschütterte ein Doppelanschlag eines rechtsradikalen Einzeltäters Norwegen – und die ganze Welt nahm Anteil. Anders Behring Breivik zündete am 22. Juli zunächst im Osloer Regierungsviertel eine Autobombe, die acht Menschen in den Tod riss. Dann machte er als Polizist verkleidet auf der Ferieninsel Utoya Jagd auf Jugendliche, die dort an einem Sommerlager der norwegischen Arbeiterpartei teilnahmen. Innerhalb von einer Stunde erschoss Breivik unter Drogeneinfluss 69 Menschen. Als die Polizei eintraf, ließ er sich widerstandslos festnehmen. Dem zum Zeitpunkt der Tat 32 Jahre alten Breivik wurde nach seiner Verhaftung in einem rechtspsychiatrischen Gutachten eine paranoide Schizophrenie attestiert. Unzurechnungsfähig.
Er sieht Europa durch Islamisten, Kulturmarxisten und multikulturelle Eliten bedroht. Seine Morde sollten der Anfang einer konservativen Revolution sein, die im Jahr 2083 mit „der Befreiung Europas vom Islam und multikulturellen Eliten“ abgeschlossen sein sollte. Auch in Haft lebt er zum Teil weiter in einer Phantasiewelt, sieht sich als Kommandeur eines Tempelritterordens. Der Prozess soll ihm im April nächsten Jahres gemacht werden. Die Verhandlung wird zeigen, ob er den Rest seines Lebens hinter Gittern eines Gefängnisses oder in einer geschlossenen Psychiatrie verbringen wird.
Nazi-Terror in Deutschland
Auch in Deutschland bekommt der Terror von rechts ein Gesicht – beziehungsweise gleich drei: Es sind die Gesichter von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Sie waren Teil der Terrorgruppe Nationalistischer Untergrund (NSU). Die Männer töteten sich am 4. November selbst, um sich so ihrer Verhaftung zu entziehen, die Frau sitzt in Haft. Mindestens zehn Menschen hat die NSU in den vergangenen zehn Jahren ermordet – darunter fallen auch die so genannten Döner-Morde an ausländische Imbiss- und Kiosk-Betreiber –, dazu Banken überfallen und rechtsradikale Netzwerke wohl auch bis ins Ruhrgebiet geknüpft – ungehindert vom Verfassungsschutz und den Polizeibehörden. Das sind die Fakten. Unklar ist noch wie weit das braune Netzwerk reicht, wie viele Beteiligte und Unterstützer es in Deutschland und im Ausland gibt und welche Rolle die Geheimdienste spielen.
Für Alexander Häussler von der Forschungsstelle Rechtsextremismus der FH Düsseldorf ist das Jahr 2011 aus diesem Grund ein ganz besonderes, was den Blick nach rechts betrifft: „Die NSU hat erschreckend deutlich gemacht, dass die Behörden und die Politik in ihrer Einschätzung über das Gewaltpotenzial von Rechtsextremen in Deutschland falsch lagen.“ Obwohl von Fachleuten seit Jahren auf die wachsende Gewaltbereitschaft von Freien Kameradschaften und Autonomen Nationalisten hingewiesen worden war, habe die Aufmerksamkeit der Behörden mehr dem Terror von außen durch Islamisten gegolten, anstatt sich mit dem rechten Terror zu beschäftigen, der in der eigenen Gesellschaft herangewachsen sei.
NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat Ende Dezember als Reaktion auf die Neonazi-Mordserie angekündigt, den Kampf gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus zu verschärfen. Es gehe darum, "den braunen Sumpf mit allen rechtlich möglichen Mitteln trocken zu legen", sagte Jäger am Donnerstag vor Heiligabend im Düsseldorfer Landtag. Rechtsextremisten sollten nicht mehr legal an Waffen kommen. Zudem solle der Ermittlungsdruck auf die rechte Szene „maximal“ erhöht werden. Des weiteren sei geplant, ein Kompetenzzentrum Rechtsextremismus im Landeskriminalamt einzurichten und die Prävention zu intensivieren, um Kinder und Jugendliche vor dem Abrutschen in die rechte Szene zu schützen. Diese ist in NRW vor allem durch die Autonomen Nationalisten vertreten.
Alle Jahre wieder: Nazi-Aufmarsch in Dortmund
In NRW haben sich die Autonomen Nationalisten in mehreren Städten eingenistet: Aachen, Dortmund, Wuppertal und Radevormwald gelten als Hochburgen der Rechtsradikalen, auch wenn die Stadtväter und Behörden diesen Terminus stets vermeiden. Dortmund war in diesem Jahr erneut Schauplatz eines Neonazi-Aufmarschs.
Am 3. September nutzten die Organisatoren wieder den Antikriegstag, um auf ihre rechten Ideen aufmerksam zu machen. Die Stadt befand sich im Ausnahmezustand. Etwa 4000 Polizisten sollten für Ordnung sorgen. Auch Wasserwerfer waren im Einsatz. Etwa 10.000 Dortmunder stellten sich den etwa 700 Rechten erfolgreich entgegen und blockierten auf einer Route den Demonstrationsweg. Der Großteil der Demonstranten blieb friedlich, wenngleich es einige Scharmützel zwischen etwa 1500 gewaltbereiten Linksautonomen und der Polizei gegeben hat, bei denen 42 Beamte verletzt wurden. Die Polizei nahm insgesamt 291 Personen in Gewahrsam.
NPD-Leaks
Das Internet erleichtert den Rechten die Organisation und Koordination solcher Aufmärsche. Es hilft ihnen außerdem, sich zu vernetzen, ihre Ideologie zu breiten und damit neue Anhänger zu gewinnen. Etwa 1000 Seiten rechtsextremer Betreiber hat der Verfassungsschutz dieses Jahr im Internet gezählt. Nicht immer jedoch sind die Seiten und Server der Rechten auch gut gesichert. Zum zweiten Mal seit 2008 ist es Hackern im Februar gelungen, 60000 Mails von NPD-Mitgliedern größtenteils aus Sachsen-Anhalt abzufischen, die dann verschiedenen Medien zugespielt wurden. Dabei kam zum Vorschein, wie große das Finanz- und Organisationschaos innerhalb der Partei ist und wie groß menschenverachtendes Gedankengut ist. So ist von „Negerkindern“ und „Bimbos“ die Rede. Mails wurden auch gern mit dem strafbaren „deutschen Gruß“ beendet – oder mit dem Kürzel 88. Das Kürzel der rechtsextremen für Heil Hitler.
Die Feuerwehr
Und dann wäre da noch Gladbeck. Nachdem sich die Stadtspitze Anfang des Jahres schon gezwungen sah, eine Kommission einzusetzen, um die Hitlergruß-Affäre bei der Freiwilligen Feuerwehr zu untersuchen, wurde im Dezember der nächste Skandal bei den Löschern bekannt. Im Internetportal Facebook äußerten sich mehrere Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr fremdenfeindlich und rassistisch. Einem türkischen Sänger sollte zum Beispiel „der Gnadenschuss gegeben werden“. Zudem fiel auch dieser Satz: „Ihr wisst Bescheid, wenn der Alarm (bei Türken, Anm. der Redaktion) kommt, trinkt erst mal noch zwei Bier, bevor ihr losfahrt“. Ein Ermittlungsverfahren gegen die Mitarbeiter ist eingeleitet.
In dem Abschlussbericht der Kommission, die den Fall mehrerer Jugendfeuerwehrleute untersuchte, die den Hitlergruß zeigten, hieß es übrigens, dass es „keine Anhaltspunkte gibt, die auf rechtsradikale Tendenzen innerhalb der Gladbecker Feuerwehr schließen lassen“.
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