Oslo/Utöya... Der Rechtsextremist Anders Behring Breivik tötet auf der Ferieninsel Utöya 69 Menschen. Zudem geht am 22. Juli im Regierungsviertel in Oslo eine Bombe hoch. Dabei sterben acht Menschen. Der Amoklauf erschütterte ganz Norwegen.

Es ist ein kühler Sommertag, als der Terror nach Norwegen kommt. Am 22. Juli geht der Attentäter Anders Behring Breivik gezielt auf Menschenjagd und stürzt das friedliche Land in die schwerste Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Am frühen Freitagnachmittag detoniert im Regierungsviertel von Oslo eine Bombe und tötet acht Menschen. Eineinhalb Stunden später geht Breivik auf der Insel Utöya an Land und richtet unter den Teilnehmern eines Jugendlagers ein Massaker mit 69 Toten an. Er wird getrieben von einem rechtsradikalen Weltbild, vom Hass auf Muslime und paranoiden Wahnvorstellungen von einer Überfremdung Europas. Breivik versteht sich als Widerstandskämpfer gegen die Islamisierung des Abendlandes, er sieht sich als Kommandeur einer Bewegung zum Schutz des Christentums und der weißen Rasse.

Der Anschlag auf das Regierungsviertel zielt auf das Herz der norwegischen Demokratie. Der Sprengsatz beschädigt auch das Büro von Ministerpräsident Jens Stoltenberg. Das Massaker auf der Insel Utöya ist ein Anschlag auf die Zukunft des Landes. Breiviks Hass gilt den Teilnehmer eines Jugendlagers der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. In einer Polizeiuniform erreicht er die Insel und erklärt den Jugendlichen zunächst, er sei zu ihrem Schutz genommen.

Doch dann eröffnet er das Feuer und beginnt auf dem Eiland in dem See bei Oslo eine beispiellose Menschenjagd. Dabei spielen sich dramatische Szenen ab. Augenzeugen berichten später, wie Breivik das Gelände systematisch abgeht und seine Opfer aus kürzester Distanz erschießt. Einige Jugendliche springen in Panik ins Wasser und versuchen, schwimmend das andere Ufer zu erreichen. Eineinhalb Stunden dauert das Massaker auf Utöya, dann erreicht eine Sondereinheit der Polizei die Insel und nimmt Breivik fest.

Bislang unbekannter Extremismus im liberalen Norwegen

Norwegen wird an diesem Tag im Juli mit einem Extremismus konfrontiert, der in dem liberalen Land bislang unbekannt war. Die Tat löst eine Diskussion über Sicherheit und persönliche Freiheit aus. Die Arbeitsmethoden der Geheimdienste und der Polizei werden infrage gestellt und die mangelnde Kooperation zwischen den Behörden kritisiert.

Der norwegische Inlandsgeheimdienst PST war bereits im März auf Breivik aufmerksam geworden, als dieser bei einer polnischen Firma Chemikalien für den Bau einer Bombe bestellte. Damals hatten jedoch offenbar nicht genug Hinweise gegen Breivik vorgelegen, um weiter zu ermitteln. „Wir werden künftig etwas anders machen, gemeinsam mit unseren Schwesterorganisationen aus ganz Europa“, kündigte die Leiterin des PST, Janne Kristiansen, nach der Untersuchung des Falls an.

Der norwegische Justizminister Knut Storberget kritisierte rechtliche Einschränkungen für Antiterror-Ermittler. Ihre Arbeit werde „häufig von Begrenzungen behindert, die vorschreiben, was aufgezeichnet und wie lange die Daten gespeichert werden dürfen“, sagte Storberget.

Doch die Norweger widerstehen der Versuchung, angesichts des Terroranschlags nach strengeren Gesetzen und mehr Sicherheit zu rufen. Bei der Gedenkfeier für die 77 Opfer des Doppelanschlags ruft Ministerpräsident Stoltenberg nicht nach einem starken Staat, sondern nach engagierten Bürgern. „Wir brauchen Sie“, sagt er in seiner Rede in der Osloer Spektrum-Arena. „Gleich, wo Sie wohnen, egal an welchen Gott Sie glauben, jeder einzelne kann Verantwortung übernehmen und die Freiheit bewachen.“

König Harald V. ruft zur Verteidigung der Freuheit auf

Auch König Harald V. fordert die Norweger dazu auf, den skandinavischen Liberalismus gegen die Doktrin von Law and Order zu verteidigen. „Ich glaube fest daran, dass wir unsere Fähigkeit behalten, frei und offen in unserem Land zu leben“, sagt Harald V. bei der Gedenkfeier vier Wochen nach dem Anschlag.

Breivik hatte seine wirre Weltsicht in einem 1.500 Seiten starken Manifest mit dem Titel „2083. Eine Europäische Unabhängigkeitserklärung“ dargelegt. Muslime und Marxisten würden einer multikulturellen Gesellschaft den Boden bereiten und mit friedlichen Mitteln sei die Islamisierung Europas nicht zu verhindern, schreibt der selbst ernannte Widerstandskämpfer in seinem im Internet veröffentlichten Traktat.

Breivik hat den Doppelanschlag von Oslo und Utöya eingeräumt, hält sich jedoch nicht im juristischen Sinne für schuldig. Europa befindet sich seiner Auffassung nach im Kriegszustand, und er habe das Massaker verübt, um Norwegen vor einer Übernahme durch muslimische Einwanderer zu schützen. Breiviks Anwalt Geir Lippestad hatte noch vor wenigen Monaten berichtet, sein Mandant habe keinerlei Reue angesichts seiner Taten gezeigt.

Ob Breivik für den Mord an 77 Menschen indes ins Gefängnis muss, ist noch unklar. Kürzlich hatten zwei Psychiater den geständigen Mörder für unzurechnungsfähig erklärt. Er habe das Blutbad in einem „psychotischen Zustand“ angerichtet, teilte die Staatsanwaltschaft in Oslo mit. Sollte das Gericht zu demselben Schluss kommen, wird Breivik nicht ins Gefängnis kommen, sondern in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Das Urteil der Psychiater passt freilich nicht in Breiviks Selbstbild vom furchtlosen Widerstandskämpfer. Er fühle sich von dem Gutachter „gekränkt“, ließ er nach der Veröffentlichung des Berichts verlauten. (dapd)