Essen. Die Pandemie der Ungeimpften ist lange nicht vorbei – auch dank der Aktivitäten sogenannter Querdenker. Deren Methoden werden immer perfider.
So, liebe Freundinnen und Freunde der Klartext-Kolumne, jetzt schauen wir mal aus einer etwas höheren Flughöhe auf die Corona-Pandemie! Da stößt uns als Gesellschaft etwas zu, das Expertinnen und Experten zwar schon lange für möglich gehalten haben, uns Bürgern aber eher wie düstere Science-Fiction anmutete: Ein potenziell tödliches Virus erobert auf (leider nicht nur sprichwörtlich) atemberaubende Weise die Welt. In höchster Not werden wir in einen Lockdown gezwungen. Ein Heer von Forschenden macht sich rasch daran, Impfstoffe zu entwickeln. Monatelang bangen wir, ob das gelingt – und wenn ja, ob die Impfstoffe rechtzeitig kommen. Wir haben großes Glück im Unglück. Es gelingt. Die Rettung ist nah.
Doch was passiert dann? Wieder einige Monate später blicken wir auf nicht ausreichende Impfquoten. Die Inzidenzen explodieren, die Intensivstationen füllen sich. Statt darauf angemessen zu reagieren, sprechen wir über die Bedenken eines Fußballspielers, dessen Verein gerade 0:5 verloren hat. Der junge Mann hat Fragen. Fragen hinsichtlich möglicher Langzeitfolgen der Impfung. Er teilt diese Skepsis mit nicht wenigen Menschen in Deutschland, die sich noch immer nicht haben impfen lassen – und von denen sich auch künftig viele gar nicht impfen lassen wollen. Lieber nehmen sie die Infektion ohne Impfung in Kauf und damit Krankheit, Tod und eine Verlängerung der Krise.
Sie würden ihren Glubsch-Augen nicht trauen
So, und jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie begegnen auf dieser Flughöhe rein zufällig ein paar Außerirdischen. Die sind, wenn´s der Phantasie hilft, von mir aus grün und haben Glubsch-Augen – und, was wichtiger ist, sie beobachten und erforschen die Menschheit aus ihrer fliegenden Untertasse heraus. Was meinen Sie? Halten die uns wohl für intelligente Lebewesen, mit denen man sich gewinnbringend austauschen sollte?
Oder für tumbe Zweibeiner, die nicht mehr alle Untertassen im Schrank haben?
Wir sind offenbar unfähig, Risiken einzuschätzen und die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, unfähig, einem primitiven Virus die Stirn zu bieten. Zur Verdeutlichung: Viren sind völlig hirnlose Gebilde, ohne Zelle, ohne Stoffwechsel, ohne Energiegewinnung. Aber: Was ist ein Hirn schon wert, wenn man es nicht richtig einsetzt?
Klimawandel? Quatsch! Corona? Eine bessere Grippe!
Nehmen Sie nur einmal die sogenannten Querdenker. Querdenker misstrauen den professionell aufbereiteten, recherchierten Informationen unabhängiger Medien, die natürlich alle von der Regierung gesteuert werden. (Verdammt, da fällt mir ein, ich habe heute noch gar nicht die Weisungen aus Berlin und Düsseldorf umgesetzt! Das gibt 100 Peitschenhiebe!) Querdenker halten alles für Quatsch, was wissenschaftlicher Konsens ist und als evident gilt. Klimawandel? Quatsch! Corona? Eine bessere Grippe! Die Erde, eine Kugel? War sie noch nie!
Das ist Klartext
Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.Klartext als Newsletter? Hier anmelden.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Diese Leute verstehen keinen Spaß. Und das, was sie tun und damit anrichten bei verängstigten und verunsicherten Menschen, die mit schlechten Nachrichten emotional nicht gut umgehen können, ist auch überhaupt nicht lustig. Ernsthaft: Die spalten die Gesellschaft und befördern eine Fake-News-Kultur in den „sozialen“ Medien. Sie halten Menschen davon ab, sich impfen zu lassen und damit ihr eigenes Leben und das ihrer Liebsten sicherer zu gestalten angesichts dieser besonderen Bedrohung. Und: Ihre Methoden sind perfide.
Plötzlich gibt es einen Sankt-Martins-Zug in Wülfrath
In der niederbergischen Stadt Wülfrath etwa liegt in den Kindergärten plötzlich ein wirklich nett gestalteter Flyer aus. „Hoffnungslichter“ steht da groß unter bunten Laternchen, Herzchen und Sternchen. Und: „Sankt Martins-Zug in Wülfrath“. Allgemeines Erstaunen. Kinder- und Elternherzen schlagen höher. Sollten die Züge, sonst organisiert von den Pfadfindern und der Kirche, wegen Corona nicht ausfallen? Und jetzt bringt eine „private Initiative“ St. Martin, sein Pferd und gratis (!) Weckmänner für die Kinder mit! Nein, wie toll, wie süß, wie lieb! Da müssen wir dabei sein! Hoffnungslichter in dunkler Zeit! Ansprechpartner: Antonio Nikolodi.
Moment! Antonio Nikolodi von der „Corona Kritik Velbert Heiligenhaus“, die sonst durch Heiligenhaus marschiert, um gegen die Anti-Corona-Maßnahmen mobil zu machen? Was macht der plötzlich in Wülfrath? Das weckt meine Neugier. Ich stoße auf den Telegram-Account der Gruppe und lese mit – bis Nikolodi und seine Freunde das bemerken und die Gruppe als „privat“ sperren. Da ist es schon zu spät. Ich habe das Beste per Screenshots festgehalten. Detailliert wird die Aktion in Wülfrath dort geplant und vorbereitet. Zum Thema Corona liest man ebenfalls Interessantes. Es folgen ein paar Zitate aus dem Gruppen-Chat, sprachliche Fehler der Authentizität wegen inklusive:
„Beenden wir (…) den Coronafaschismus mit unserem zivilen Ungehorsam!“
„Jetzt geht´s wieder los mit Corona Panik. Lettland, Russland, Marokko Corona Ausnahmezustand. Sie fahren nochmal alles auf um die Menschen in die Impfung zu treiben. Unglaublich dieses Schmieren Theater.“
„Und Corona ist ,nur’ der Hebel, mit dem der Great Reset eingeleitet wird, der uns in die neue Weltordnung führen soll.“
Sankt-Martins-Zug wird bei Bochumer Querdenkern beworben
Mhhh, denke ich, ein vollständiger Reset täte einigen dort auch gut. Aber lassen wir die Polemik mal kurz weg. Interessanter ist, was Nikolodi offenbar richtig ärgert und dazu verleitet, seine Leute zu mehr Funkdisziplin anzuhalten: dass nämlich ein Mitglied der Gruppe, nach eigenen Angaben selbst kinderlos, den geplanten Marsch durch Wülfrath sogar in der Gruppe „Querdenken (234-Bochum)“ bewirbt, damit möglichst viele Querdenker-Mitstreiter von außen kommen mögen. Wie entlarvend!
Nikolodi gibt sich derweil betont bürgerlich. Ein selbstloser Kinderfreund. Ein Mensch zum Gernhaben. Nur einmal bröckelt die Fassade, als er die immer lauter werdende Kritik in Wülfrath an seiner geplanten Aktion öffentlich als „Pogrom“ bezeichnet. Zur Erinnerung: In wenigen Tagen haben wir den 9. November. Am 9. November 1938 brannten im Deutschen Reich die Synagogen. Tausendfach wurden Juden verhaftet und ermordet. Es gehört zum Standard-Repertoire Rechter und Rechtsradikaler, politische Gegner mit Nazi-Begriffen zu diskreditieren und dabei ganz nebenbei die Nazi-Gräueltaten zu relativieren.
„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!“
Das Ordnungsamt in Wülfrath sieht derweil offenbar keine Möglichkeit, die Veranstaltung zu verbieten. Nikolodi hat, wie er auf Telegram beteuert, dem Wülfrather Amtsleiter sein „Ehrenwort“ (hüstel) gegeben, dass seine Leute den Martinszug nicht politisieren werden. Das müssen sie auch gar nicht mehr. Als Marketing-Gag für die Querdenker-Szene funktioniert der Marsch auch ohne Plakate und Transparente bestens. Ausgerechnet Sankt Martin, der Versöhner, missbraucht von den Spaltern, die die Pandemie der Ungeimpften befeuern, bis ihnen das Licht ausgeht! Rabimmelrabammelrabumm.
Und unsere Außerirdischen? Sie fliegen, irritiert von der Tatsache, dass sich diese Menschheit nicht schon selbst ausgerottet hat, zurück durch den Weltraum, durch unendliche Weiten, um fremde Galaxien zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Zivilisierte Zivilisationen, um genauer zu sein, denn da ist, wie sich zeigte, auf der Erde noch viel Luft nach oben.
Auf bald.