Essen. Der PCR-Test von WAZ-Kolumnist Alexander Marinos war positiv. Die Symptome sind gut erträglich, die Begleitsymptome weniger. Galgenhumor hilft.
Naa, naaaaa, na, na, na, na, na, na, na, naa, naaaa ...
Ich weiß nicht, was mich mehr zermürbt: dass mein Sohn gerade in der dritten Stunde die „Ballade für Adeline“ von Richard Clayderman auf seinem Keyboard klimpert oder dass sich mein Husten jetzt schon fast eine Woche lang hartnäckig hält. Beidem kann ich gerade nicht entgehen: weder der Corona-Erkrankung noch der Quarantäne. Darum ergreife ich die Flucht ins Schreiben. Wer schreibt, der bleibt, habe ich schon im Volontariat gelernt. Klingt doch nach einer guten Überlebensstrategie. Und hier ist sie: die nächste Klartext-Kolumne. Es geht mal wieder um Corona. Und doch ist alles anders. Denn kein Theoretisieren, Politisieren und Polemisieren ersetzt die persönliche Erfahrung.
Fast zwei Jahre lang haben wir alles getan, was wir tun konnten, um die Infektion zu vermeiden. Wir haben brav die stets bestverfügbaren Masken getragen, Kontakte massiv reduziert, unsere Tochter sehr lange aus der Kita herausgehalten. Ich erinnere mich an ein Kaffeetrinken im Garten meiner Schwiegereltern, im Winter 2020/21, bei minus 5 Grad, um jedes Ansteckungsrisiko zu vermeiden: Die Kälte kroch über die Füße, den Rumpf und die Hände direkt in die Tassen, so dass man bei der Erwartung an einen guttuenden heißen Schluck Kaffee eiskalt erwischt wurde. Meine Tochter, natürlich ein Anna-und-Elsa-Fan, quiekte vor frozenmäßiger Freude, als ich das Gesicht verzog.
Das Virus hat es doch geschafft
Dann kam die erste Impfung, die zweite Impfung, die dritte Impfung. Jedes Mal dachte ich: Geschafft! Corona, Du kriegst mich nicht! Und jetzt doch: Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Dazu leichtes Fieber. Berührungen sind unangenehm, die Gelenke schmerzen, so müde war ich schon lange nicht mehr. Das sind sie also, die „milden Symptome“. Es ist eine Niederlage. Das Virus hat es tatsächlich geschafft: Über Wuhan und Südafrika, wo Omikron zum ersten Mal entdeckt wurde, bis zu uns nach Hause, bis in unsere Körper hinein. Ich versuche, es sportlich zu nehmen.
Dass es sich weitgehend nur wie eine lästige Erkältung anfühlt, eine Erkältung, die etwas länger dauert als üblich, wirkt beruhigend. Meine Frau, die sich ebenfalls angesteckt hat, fühlt sich ähnlich. Wir nehmen in diesen Tagen noch aufmerksamer als sonst zur Kenntnis, dass Omikron (wenn es das denn ist) bei gesunden und geboosterten Betroffenen praktisch nie zu schweren Verläufen führt, die in einem Krankenhaus behandelt werden müssen. Wir haben alles richtig gemacht. Und doch ist das Virus jetzt in uns. Das wollten wir nicht. Wir wollten uns und vor allem unsere Kinder vor den möglichen Langzeitfolgen bewahren. Denn diese Sorge kann uns gerade keiner nehmen: dass Long-Covid auch bei Omikron, auch bei Geimpften auftauchen kann. Der Gedanke belastet uns.
Die Schnelltests waren nicht zuverlässig
Immerhin zeigen die Kinder keinerlei Symptome. Alle Schnelltests, die wir mit ihnen gemacht haben, waren negativ. Doch was heißt das schon? Als ich am vergangenen Mittwoch immer stärkere Symptome hatte, war der erste Test negativ. Ich traute dem Braten nicht. Der zweite Test, ein paar Stunden später, war auch erst negativ, bis sich dann eine kaum wahrnehmbare zweite Linie zeigte – allerdings nicht nach 15, sondern nach 120 Minuten. Also ein dritter Test. Meine Frau schaute zuerst drauf, rückte dann reflexartig von mir weg und sah mich an wie einen Aussätzigen. „Komm, ich habe schon nicht die Pest, oder?!“ Sie antwortete mit einer stillen Geste, die ich treffsicher als „Doch!“ interpretierte. Da war es etwa 23.30 Uhr.
Bereits um 23.50 Uhr stand ich vor einem PCR-Testzentrum in Wuppertal, das bis Mitternacht geöffnet hatte, und ließ mir ein Stäbchen derart in den Hals rammen, dass es fast hinten wieder rausgekommen wäre. Fragend sah ich die resolute Helferin in ihrem blauen Ganzkörperkondom an. „Wir melden uns“, sagte sie. „Wann?“ „Weiß nicht, wir haben viel zu tun.“
Omikron hatte uns umzingelt
Wieder zu Hause angekommen, dachte ich daran, dass Alkohol desinfiziert – und genehmigte mir auf den Schrecken und zur Beruhigung das eine Bierchen einer Essener Traditionsbrauerei, das ich in den Tiefen unseres Kühlschranks noch fand. Mein schmerzender Rachen fand das ganz gut. Das Virus zeigte sich dagegen unbeeindruckt. Es hatte uns in den vergangenen Tagen umzingelt.
„Jeder wird es bekommen“, hatten wir uns am sonntäglichen Frühstückstisch schon auf das Unvermeidbare vorbereitet. „Es ist nur eine Frage von Tagen.“ Wie wahr. Immer mehr Pooltests in den Parallelklassen meines Sohnes waren positiv. Der Sohn von Freunden von uns: positiv. Auch im Kindergarten unserer Tochter mehrten sich die Fälle. Positiv. Positiv. Positiv.
Bis die Corona-Warn-App endlich warnt ...
Am Freitagabend dann kam die Mail vom Testzentrum, im Anhang das PCR-Laborergebnis: positiv. Das konnte mich nun nicht mehr schocken. Etwas anderes beschäftigte mich: Wie füttere ich jetzt die Corona- App, um andere Menschen, denen ich in den vergangenen Tagen begegnet war, zu warnen? Ein QR-Code oder eine TAN waren nicht vorhanden. Per Mail fragte ich im Testzentrum nach, was nun zu tun sei. Ganz einfach, erhielt ich unerwartet prompt eine Antwort: Fahren Sie mit Ihrem PCR-Ergebnis zu einer Apotheke, dort erhalten Sie eine TAN, die geben Sie dann in der App ein.
Das ist Klartext
Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.Klartext als Newsletter? Hier anmelden.
Ach so, dachte ich, ist ja kein Problem. (Achtung, Ironie!) Warum etwas digital erledigen, das schnell erledigt werden muss, wenn man sich doch Zeit nehmen kann für eine persönliche Begegnung mit dem geschätzten Apotheker seines Vertrauens? Der das bestimmt ganz toll findet, wenn man ihm Corona in die Apotheke schleppt. Vom Gesundheitsamt ganz zu schweigen, das bestimmt ganz begeistert ist, wenn man die Quarantäne verlässt, um sich eine TAN für die Warn-App zu besorgen. Immerhin könnte man auf dem Weg ja weiteren App-Nutzern so nah kommen, dass sich die Nutzung eben dieser App für sie und für uns alle erst so richtig lohnt.
Dienstleistungswüste mit tödlichen Folgen
Zum Glück wird in der Warn-App eine 0800-Rufnummer genannt, die man in solchen Fällen alternativ anrufen kann. Sie sei 24 Stunden geschaltet, wird in der App versprochen. Versprochen, gebrochen. Mein Anruf erfolgte gegen 21 Uhr. „Sie rufen außerhalb unserer Geschäftszeiten an.“ Um 20 Uhr ist Feierabend. Pech für alle meine zu warnenden Zufalls-Risiko-Begegnungen, die ich nicht auf direktem Weg kontaktieren kann. Ob sich Corona auch an die Geschäftszeiten hält?
Immerhin am nächsten Tag klappte es mit der Hotline – nach einer Wartezeit in einer Warteschleife von fast 30 nervenaufreibenden Minuten. „Alle unsere Kundenberater sind im Gespräch.“ Kundenberater? Ich will nichts kaufen! Ich will etwas loswerden: Informationen, die potenziell Leben retten können. Warum wird mir das so schwer gemacht? Endlich konnte ich meine TAN eingeben, und zwei meiner Kontakte, die ich schon tags zuvor per Mail gewarnt hatte, meldeten sich bei mir: Ihre App sah Rot. Ich auch.
Bürokraten-Quatsch statt Beratung für Kranke
Meine Laune besserte sich nicht, als ich einer weiteren Bürgerpflicht nachkommen und das für mich zuständige Kreisgesundheitsamt Mettmann informieren wollte. Wohlgemerkt: Das Gesundheitsamt hat sich bis jetzt nicht bei mir gemeldet. Ich dagegen durfte 24 (!) Seiten Formular ausfüllen mit Angaben zu mir und meinen Kontaktpersonen. 24 Seiten, die nie ein Mensch mehr sehen wird, die es aber in sich haben. Über die Frage, ob ich in den vergangenen Tagen mit meiner Frau „Gespräche“ geführt und wir Kontakt mit einem Abstand von weniger als anderthalb Metern gehabt hätten, konnte ich noch mit einem Schmunzeln hinweggehen. Die Frage dagegen, ob es einen „direkten Kontakt zu Sekreten oder Körperflüssigkeiten“ gab, beantworte ich nicht – Auskunftspflicht hin oder her.
Von ähnlicher Qualität waren die Fragen zu meinen Kindern. Ob wir „in einem Raum“ leben würden und Kontakte länger als zehn Minuten dauerten? Ja, kreuzte ich an, und ja. Ich musste unweigerlich an einen müden Neandertaler nach der Jagd denken, dem ein Stück gebratenes Bison hingehalten wird und der aufgrund schwindender Hirn-Kapazitäten nur noch mit einem tumben „Ja“ antworten kann. Und dann kam das Feld „Beschreibung, wie der Kontakt vonstatten ging“. Ich antwortete in Großbuchstaben: „WIE DAS BEI VÄTERN UND KINDER SO IST!!!“ Gerne hinzugefügt hätte ich folgende Gegenfrage:
Haben Sie eigentlich noch alle Aktenordner im Schrank?
Her mit dem Atomkoffer!
Ich weiß, man soll sich nicht aufregen, zumal, wenn man krank ist. Aber in diesem Moment, nach 45 Minuten Online-Formularbearbeitung mit brummendem Omikron-Schädel, wurde mir klar, dass ich kein guter US-Präsident wäre. Hätte ich jetzt den Atomkoffer gehabt und die Zielkoordinaten von Mettmann eingeben können ... Was mich beruhigte und, ja, sogar erheiterte, war allein die Tatsache, dass meine Frau anschließend ebenfalls 24 Seiten Formular ausfüllen musste.
Naa, naaaaa, na, na, na, na, na, na, na, naa, naaaa, schallt es noch immer aus unserem Wohnzimmer. Das Leben geht weiter. Biontech und Co. sei gedankt.
Auf bald.