Hagen..

Die große, alte Dame des deutschen Pop mag man sie nun doch nicht nennen. Dafür ist Annette Humpe an ihrem heutigen 60. Geburtstag viel zu aktiv. Aber groß ist die gebürtige Hagenerin zweifellos, auch wenn das nicht alle wissen. Sie ist die unbekannteste Prominente im Musikland.

Das Gesicht hat Annette Humpe nur einmal länger hingehalten, vor 30 Jahren, als Frontfrau von Ideal. Verschanzt hinterm Keyboard, eine Matrosenmütze auf dem kurzem Blondschopf sang sie zum kühl-wütenden Sound der Band „Deine blauen Augen machen mich so sentimental”. Das war der Beginn der Neuen Deutschen Welle. Dann warfen die Plattenfirmen zu viel Mittelmäßiges auf den Markt und ließen die Welle in allzu seichten Schlagergefilden verebben. Nur Ideal und Trio (bei „Da da da” sang Annette Humpe mit) klingen heute noch gut.

Auf der Bühne nicht zu sehen

1983 war Schluss mit Ideal, und Annette Humpe konnte sich seitdem mehr im Hintergrund halten. Für DÖF schrieb und produzierte sie den Hit „Codo”, in dem ihre jüngere Schwester Inga mit der sie schon 1979 bei den Neonbabies zusammengearbeitet hatte, im Sauseschritt düste und die Liebe mitbrachte.

Zusammen waren die beiden Humpe & Humpe, dann produzierte Annette das erste Soloalbum von Rio Reiser und ein eigenes, schrieb „Du musst ein Schwein sein” für die Prinzen, „Mädchen” für Lucilectric, erneuerte Udo Lindenbergs Karriere mit „Stark wie zwei” und gründete 2004 mit Adil Tawil Ich+Ich, diesmal vielleicht ein wenig auf den Spuren der jüngeren Schwester, die als Teil von 2raumwohnung schon vorher zusammen mit einem jüngeren Mann erfolgreich war. Aber während Inga Spaß daran findet, sich auf der Bühne zu produzieren, hat Annette diesen Teil des Popgeschäfts in den vergangenen Jahren völlig eingestellt.

„Die Leute brauchen eher Trost“

Lampenfieber ist nur ein Grund dafür: „Ich würde am liebsten mit dem Rücken zum Publikum stehen wie Bob Dylan”, sagt sie. Ein anderer: „Ich habe mich verabschiedet, bevor irgend jemand fragt: Was macht denn die Alte da auf der Bühne?” Und der dritte: Es geht ihr nicht ums Ego, sondern um den Song.

Das hängt vielleicht mit ihren buddhistischen Studien zusammen, sicher aber mit ihrem Verhältnis zur Musik. Und das wiederum sieht Annette Humpe durch ihre Jugend geprägt, die sie in Herdecke und Bad Pyrmont verbrachte: „Da gab es nichts anderes zu tun, als Musik zu hören. Wir hatten nicht einmal einen Fernseher, wir haben unsere gesamte Zeit am Klavier verbracht oder vor dem Radio. Und von dem Moment an, als ich die Beatles gehört habe, wusste ich, ich wollte irgendwann auch von der Musik leben.”

Ihr Musikstudium in Köln brach Humpe 1974 ab und zog nach Berlin, wo sie heute, nach einer längeren Pause wieder lebt. Von der Musik, nicht dafür. So wichtig nimmt sie das alles nicht mehr. Und ist doch, gerade mit Max Raabe, dauerkreativ. Geleitet von einem Gefühl für Songs, von Stilbewusstsein und einem souveränen Ignorieren des Zeitgeists. Auf die Zeiten reagiert sie schon. Deshalb sind Ich+Ich nicht wütend und aggressiv wie Ideal: „Der Kapitalismus ist so weit fortgeschritten, dass die Leute eher Trost brauchen.” Diese Einsicht könnte aber doch eine Altersfrage sein.

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