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In diesem Dschungel waren alle Menschen grau. „Das Neonlicht strahlt, die Tanzfläche kocht“, jemand hatte ‘nen Gin bezahlt. Annette Humpe nippte am Glas, lehnte an der Säule, hörte ihrer Stimme zu, die leicht aggressiv, gelangweilt, aber auf jeden Fall ausgesprochen cool aus den Lautsprechern „Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin“ sprach-sang-schrie. Mit dem musikalischen, wütenden Bekenntnis schuf „Ideal“ die Neue Deutsche Welle. Machte in der Szene Werbung für die Insel mit Kreuzberg, Türkenmelodien und Mauer. Machte die Sängerin Annette Humpe bekannt. Drei Jahrzehnte und unzählige Lieder später feiert die in Hagen geborene Musikerin am Donnerstag nicht nur noch immer Erfolge, sondern auch ihren 60. Geburtstag.

Die Humpe ist wandelbar, neugierig, hat ein scheinbar unbegrenztes Repertoire an Harmonien im Kopf. „Optisch bin ich nicht begabt, ich kann gut hören“, sagt sie. Das nutzt sie akribisch aus. Beeindruckt seit drei Jahrzehnten mit immer neuen Häutungen. „Das Leben gestaltet sich durch Mangel und Überfluss“, ist sie überzeugt. „Von daher mache ich gerne mal das Gegenteil.“

Nach der „Härte“ von „Ideal“ düste sie im Sauseschritt zu der österreichischen Comedy-Truppe „DÖF“, reihte mit Schwester Inga (Humpe & Humpe) die Inflation neuer, japanischer Markennamen „Yama-ha“ über vier Strophen monoton aneinander, schrieb für Rio Reiser den „König von Deutschland“, ließ die Prinzen ein Schwein sein und erklärte Udo Lindenberg, dass man ein Herz nicht reparieren kann bis sie Adel Tawil (Ich + Ich) an Liebe erinnerte.

Sie ist ihre sicherste Konstante

„Ich langweile mich schnell, wenn ich etwas wiederholen muss“, sagt sie. Die Tendenz, immer wieder einen neuen Kick zu erleben, zu gestalten, spiegelt sich auch in ihrer Umzugsfreude wider. Aufgewachsen im westfälischen Herdecke zieht es sie zum Musikstudium nach Köln. Vom Rhein flieht sie noch vor ihrem Abschluss an die Spree, „musste dann aber mal weg“, als die Mauer fiel. Zog nach London und später nach Hamburg. „In den letzten 18 Jahren bin ich nur drei Mal umgezogen“, sagt sie und scheint sich ein wenig über die eigene Ausdauer zu wundern.

Inzwischen sei sie selbst ihre sicherste Konstante und „mein Kind“. Sohn Anton ist 18 Jahre alt. Seit er auf der Welt ist, fühle sie sich erwachsen, übernehme Verantwortung. „Ich forciere nichts“, sagt sie. „Ich wollte nie etwas erzwingen.“ Sie hat sich dem Buddhismus zugewandt. „Ich leide weniger, wenn ich im buddhistischen Fahrwasser schwimme“, ist sie überzeugt. Begriffe wie Erfolg und Misserfolg hätten für sie eine neue Dimension bekommen, das eigene Ego könne sie besser in die Schranken weisen, die Gelassenheit wachse.

Kreative Pause

Auch die Fähigkeit, Nein zu sagen. Nach über zwei Jahrzehnten hat es Annette Humpe bei „Ich + Ich“ endlich geschafft, sich vom lästigen Bühnenleben zu verabschieden. „Ich lass mich nicht gerne anschauen“, erklärt sie. „Ich beneide Leute wie Nina Hagen, die einen Riesenspaß haben auf der Bühne.“

Bühne und Tournee sind für sie momentan allerdings kein Thema. Nach dem verflixten dritten Jahr – wie schon häufiger in ihrem Leben – hat sie für „Ich+Ich“ die kreative Pause verkündet. Nach der Zusammenarbeit mit dem 28 Jahre jüngeren Adel Tawil möchte sie „‘mal etwas mit einem älteren Kollegen machen, einem, der eine ähnlich raue Stimme wie Tom Waits hat“, sagt sie. Bisher habe sie noch niemanden gefunden. „Ich bin offen, habe ein tiefes Vertrauen, dass ich es im richtigen Moment erkenne.“

Wenig erinnert noch an die coole junge Frau aus den frühen 80ern, die scheinbar des Lebens überdrüssig verkündete „Komm wir lassen uns erschießen, an der Mauer Hand in Hand“. Jede Zeit hat seine Zeit. Auch bei der Humpe. Grund genug, gespannt abzuwarten, wie sie sich demnächst häutet.