Essen. Das Ruhrgebiet sollte die Toleranz als Standortfaktor entdecken. Burak Copur, Grünen-Ratsherr und Vorsitzender des Ausschusses für Zuwanderung in Essen, entwickelt die Vision einer "Metropole der Vielfalt". Für ihn ist die Integration nicht gescheitert, sondern hat erst begonnen.


Was läuft schief im Ruhrgebiet?






Burak Copur: Wir müssen die Dynamik der Kulturhauptstadt auch nach dem Jahr 2010 weiter entwickeln. Das Thema Toleranz bietet sich hierfür an. Unsere Region könnte eine „Metropole der Vielfalt” sein, doch sie wird teilweise von provinziellen Kleingeistern regiert. Es gibt eine gewisse Weltoffenheit, aber nicht bei vielen Entscheidungsträgern und in den Strukturen. in Beispiel: Die Essener Ausländerbehörde liegt verkehrsungünstig am Rande der Innenstadt. Bei den Sicherheitsvorkehrungen fühlt man sich schon fast wie am New Yorker Flughafen. Diese Behörde folgt dem Leitgedanken der Abwehr und Abschottung des reaktionären Ausländerrechts. Solche Institutionen tragen gerade nicht dazu bei, dass sich kreative Eliten bei ihrer Ankunft hier willkommen fühlen. Wir brauchen eine moderne Integrationsbehörde, die sich auf die gesellschaftliche Realität eines Einwanderungslandes einstellt.


Sind nur die Deutschen schuld an der fehlenden Integration? Finden Sie es richtig, dass Parallelgesellschaften entstanden sind und Migranten auch nach vielen Jahren nicht die Landessprache beherrschen?


Burak Copur: Die Sprache ist der Schlüssel für den beruflichen Erfolg. Aber die Integration hat doch gerade erst angefangen. Wir alle haben sie verschlafen. Erst seit 2005 gibt es verpflichtende Sprachkurse für Zugewanderte in Deutschland. Und Integration läuft über Vorbilder. Das funktioniert nur, wenn Migranten eine Chance haben, in die Chefetagen von Wirtschaft, Politik und Verwaltung aufzusteigen. Damit die anderen sehen: Der oder die hat es geschafft.


Wir wollen nicht verschweigen, dass das machohafte, mitunter aggressive Auftreten vor allem jüngerer Migranten für Ärger sorgt – und auch für Ängste.


Burak Copur: Unerzogene Idioten und Schwachköpfe gibt es auch bei Deutschen. Bei den Türken spielt der patriarchalische Erziehungsstil eine große Rolle. Die Söhne werden zuhause wie kleine Paschas behandelt und haben oft Probleme, sich anzupassen. Natürlich haben sich Migranten an Gesetze und Regeln zu halten. Es ist ein Fehler, Mädchen das Fernbleiben am Sport- oder Sexualkunde-Unterricht zu erlauben. Hier darf es keinen Kultur-Bonus geben.





Wie kriegt man Zugang zu diesen Machos und Aggro-Typen?

Burak Copur: Viele erreicht man über Personal mit Migrationshintergrund, die in Schulen, Jugendhäusern, Polizei und Verwaltung arbeiten. Diese Personen müssen interkulturelle Kompetenz mitbringen, sich also in Herkunft und Kultur dieser Leute gut auskennen und am besten zweisprachig sein. Sie sollten auch die Straßensprache beherrschen und wissen, wie diese Typen ticken. Andere werden sie niemals überzeugen. Bei groben Gesetzesverstößen: rechtsstaatlich hart sein und wegsperren.


Noch ein Wort zu den Parallelgesellschaften, bitte.


Burak Copur: Ich kann das Geschwätz von Parallelgesellschaften nicht mehr hören. Versuchen Sie doch mal als Migrant in einer Düsseldorfer Schickeria-Gegend eine schöne Wohnung zu bekommen. Ausgrenzung führt zur Abgrenzung. Wer erstmalig in Deutschland ist, sucht das Heimische, Vertraute. Das macht jeder deutsche Auswanderer genauso.


Zurück zur Metropole der Vielfalt. Wie soll sie erreicht werden? Weltoffenheit lässt sich nicht verordnen.





Burak Copur: Es gibt drei Kriterien für den wirtschaftlichen Erfolg einer Stadt: Den Anteil der Künstler und Intellektuellen, den Anteil der Homosexuellen und den Melting-Pot-Index, sprich die Zahl ausländischer Bewohner. Je multikultureller und homosexueller eine Stadt ist, desto toleranter und wirtschaftlich erfolgreicher ist sie. Nehmen Sie Köln, London, Amsterdam und New York.


Hat das Ruhrgebiet das Potenzial, zu einer Metropole aufzusteigen?


Burak Copur: Ja natürlich! Es gibt doch eine tolle Entwicklung. Katernberg könnte z.B. mit der Zollverein-School eine Art Zürich-West des Ruhrgebiets werden. Das Quartier um den Dortmunder U-Turm ein Kopenhagen in Miniaturform. Die Games Factory in Mülheim ein kleines Silicon Valley und Duisburg-Marxloh natürlich Little-Istanbul. Und die Rüttenscheider Straße in Essen hat das Zeug zur bescheidenen Variante der Londoner Kings Road.


Wie kann dieser Zustand erreicht werden?


Burak Copur: Das weltoffene Ruhrgebiet wird es nur geben, wenn Wachstum mit sozialer Gerechtigkeit verknüpft wird. Das übliche Süd-Nord-Gefälle – oder umgekehrt – in den Kommunen muss weniger werden. Integration ist kein Gedönsthema, sondern ein wichtiger Standortfaktor.

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