Duisburg.. Am diesem Wochenende gedenkt Duisburg der Opfer der Loveparade. Im Interview plädiert Duisburgs Alt-Oberbürgermeister Josef Krings für eine neue Duisburger Politik - ohne Adolf Sauerland.

Josef Krings gilt als moralische Instanz in Duisburg. 22 Jahre lang, von 1975 bis 1997, war er Oberbürgermeister und wurde durch seinen Einsatz für die Krupp-Arbeiter in Rheinhausen auch überregional bekannt. Eine Woche nach der Loveparade-Katastrophe hatte der 85 Jahre alte Ehrenbürger als einer der Ersten die richtigen Worte gefunden. Er hielt die Reden beim Trauermarsch und bei der Aufstellung des Loveparade-Mahnmals. Im NRZ-Interview spricht Josef Krings über den Jahrestag der Katastrophe und einen Neuanfang für Duisburg.

Herr Krings, was werden Sie am morgigen Jahrestag der Loveparade tun?

Josef Krings: Ich werde die zentrale Gedenkfeier im Stadion besuchen, auch wenn ich die Salvatorkirche als Ort für die Gedenkfeier für geeigneter halte. Aber wir müssen den Wunsch der Betroffenen respektieren, und es steht mir nicht zu, dies zu kritisieren.

Wie haben Sie den Tag der Katastrophe erlebt?

Josef Krings: Ich war nicht in Duisburg, sondern in Essen beim 50-jährigen Priesterjubiläum des früheren Duisburger Stadtdechanten Heinz-Josef Tillmann. Die ersten schrecklichen Meldungen habe ich auf dem Weg im Radio gehört. Beim Festgottesdienst hatte sich die Nachricht bei vielen noch gar nicht herumgesprochen.

Was sagen Sie dazu, dass OB Adolf Sauerland erst jetzt nach einem Jahr die moralische Verantwortung übernimmt?

Josef Krings: Man sollte sich fragen, was der Begriff überhaupt bedeutet. Verantwortung übernimmt man nicht, sie gehört zum politischen Amt einfach dazu.

Wird er dieser Verantwortung denn jetzt gerecht?

Josef Krings: Mein Eindruck ist, er ist traumatisiert und hat seine Kraft verloren. Dass er aus Mitleid toleriert wird, das kann nicht gut sein für jemanden, der sich auf der politischen Bühne bewegt. Wenn er schon überlegt, ob er einen Termin wahrnehmen kann oder ein Veranstalter damit hadert, ihn einzuladen, dann ist er nicht mehr haltbar.

Warum will Adolf Sauerland seinen Stuhl nicht räumen?

Josef Krings: Das Amt des Oberbürgermeisters birgt eine gewisse Verlockung. Man wird oft hofiert, erfährt Anerkennung, Akzeptanz und Zuwendung. Ich denke, Adolf Sauerland ist dafür empfänglich.

Diese Anerkennung hat sich aber doch in Ablehnung gewandelt. Innerhalb eines Monats haben bereits mehr als 30 000 Bürger für seine Abwahl unterschrieben.

Josef Krings: Er hält ja bei bestimmten Empfängen und Gelegenheiten immer noch Reden, bei denen es auch Beifall gibt. Jetzt zum Jahrestag wird aber eben vieles wieder wachgerufen und in den Fokus gerückt, was das ganze Jahr über vielleicht nur latent vorhanden war.

Da kein Rücktritt in Sicht ist, bleibt das Abwahlverfahren. Werden die nötigen 55 000 Unterschriften dafür bis Oktober zusammenkommen?

Sollte die Abwahl scheitern, kann sich die Stadt an einen derart umstrittenen OB gewöhnen?

Josef Krings: Nein. Das glaube ich nicht und das sollte sie auch nicht. So kann es keinen Neuanfang geben, das gelingt nur mit einer neuen Person auf dieser Position. Aber ich plädiere auch für eine generelle Entschleunigung der Politik und für eine Abkehr von der Besessenheit auf Größe.

Können Sie das näher erläutern?

Josef Krings: Es gibt auch in Duisburg genug Beispiele für dieses Höher, weiter, größer. Dazu gehört auch die Loveparade, die als größtes Musikereignis der Welt betitelt wurde. Oder nehmen Sie die Erweiterung des Museums Küppersmühle am Innenhafen das ein Leuchtturm-Projekt für die Stadt werden soll. Dieser Schuhkarton oben auf dem Dach werde ein echter Hingucker, höre ich immer…

…der momentan aber droht, wegen der explodierenden Kosten am Boden zu bleiben…

Josef Krings: Ich denke, in einem Museum sollten eher die Exponate wirken und nicht die Architektur. Und nebenbei lässt man für dieses Projekt auch womöglich noch die städtische Wohnungsgesellschaft über die Wupper gehen.

Wie soll Politik stattdessen aussehen?

Josef Krings: Der zunehmende Protest gegen Großprojekte und die Ereignisse in Stuttgart sollten einen doch stutzig machen. In Norddeutschland würde man sagen, Politik muss sich um den Kiez bewegen. Dort muss man die Bürger aktivieren. Das Loveparade-Mahnmal ist ein gutes Beispiel für ein neues Denken. Es wurde von Bürgern initiiert, sie haben den Entwurf ausgewählt. Dann haben andere Bürger geholfen, Unternehmen haben das Material, die Herstellung und den Transport gesponsert. So kann die Stadt wieder Selbstbewusstsein aufbauen.