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Aus den beschädigten Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima ist hoch giftiges Plutonium ausgetreten. An mehreren Stellen auf dem Reaktorgelände wurden Spuren des radioaktiven Stoffs entdeckt. Sie stammen entweder aus einem der Abklingbecken oder – weit bedenklicher – aus dem Reaktorblock 3 der Anlage.
Arbeiten im Problem-Reaktor
Dieser Meiler wurde mit Brennelementen betrieben, die sieben bis acht Prozent Plutonium enthalten. Sollte das Gift aus diesen Mischoxid-Elementen (MOX) stammen, würde das darauf hinweisen, dass der Reaktordruckbehälter geborsten ist.
„Es ist nicht verwunderlich, dass jetzt Plutonium gefunden wurde“, sagt der unabhängige Atomexperte Mycle Schneider dieser Zeitung. „Man hat es zuvor vermutlich einfach nicht gemessen.“ Denn ein Geigerzähler registriert die von Plutonium ausgehende Alpha-Strahlung nicht. „Die Messung ist komplizierter, dafür muss man ins Labor gehen“, sagt Schneider. „Seit zwei Wochen besteht kein Zweifel daran, dass alle drei Reaktorkerne in Fukushima schwer beschädigt sind.“ Wie viele Brennelemente geschmolzen sind, könne man von außen nicht feststellen.
„Der Kern ist wieder kritisch“
Stutzig geworden sei er durch die Messungen des radioaktiven Isotops Technetium-99m. Es hat nur eine Halbwertszeit von sechs Stunden, verliert also nach dieser kurzen Zeit bereits die Hälfte seiner Strahlung. Schneider: „Wie kann es dann sein, dass nach 14 Tagen immer noch sehr hohe Dosen gemessen wurden?“ Und er gibt sogleich die Antwort: „Das zeigt, dass der Kern wieder kritisch geworden ist und die Kettenreaktion andauert.“
Plutonium ist einer der tödlichsten Stoffe, den die Menschheit kennt. Bereits winzige Partikel im Körper wirken tödlich. „Das Problem mit Plutonium ist, dass es bei großer Hitze seine chemische Form ändert“, erklärt der Atomexperte. „Es entstehen winzige Partikel, die problemlos die Atemwege passieren und tödlichen Lungenkrebs auslösen. Wir reden hier von Millionstel Gramm.“ Plutonium hat zudem eine sehr lange Halbwertszeit von 24 000 Jahren. Es kommt in der Natur kaum vor, entsteht aber bei der nuklearen Kettenreaktion in Atomkraftwerken.
Reisanbau unmöglich
Die Folgen der Katastrophe für Menschen und Umwelt seien bislang kaum abzuschätzen. Radioaktives Jod sowie Cäsium gelangen über den Boden leicht in die Nahrungskette, also auch in Milch oder Fleisch. Da es in Japan bislang kaum geregnet hat, geht Schneider davon aus, dass ein Großteil der Radioaktivität noch in der Luft ist: „Wo es runterkommt, weiß niemand.“ Es sei klar, dass der Boden im weiten Umkreis von Fukushima für Jahrzehnte nicht mehr bewirtschaftet werden könne. „In Japan wird jeder Quadratmeter für den Reisanbau genutzt. Das geht nicht mehr.“
Greenpeace warnt vor unabsehbaren gesundheitlichen Folgen für die Menschen rund um die havarierten Meiler. Heute will die Umweltorganisation in Japan eigene Strahlenmessungen vorstellen. Sie zweifelt an den Angaben der Regierung. „Wir fragen uns, ob die Sperrzone mit einem Radius von 30 bis 40 Kilometern noch ausreicht“, sagte Greenpeace-Atomexperte Tobias Münchmeier.
Erfolg: Neue Glühbirne
Ob die Rettungsversuche in Fukushima in absehbarer Zeit erfolgreich sein werden, bezweifelt Schneider. „Wenn der Betreiber Tepco sogar als Erfolg vermeldet, eine Glühbirne in den Kontrollraum eingeschraubt zu haben, bin ich sehr skeptisch.“ Es könne Monate dauern, bis sich die Lage stabilisiert. Er fordert eine internationale Eingreiftruppe, die Szenarien für Maßnahmen entwickelt. „Wieso Europa und die USA das noch nicht auf die Beine gestellt haben, ist mir ein Rätsel.“
Mycle Schneider ist ein international tätiger Gutachter für Atomanlagen und berät zahlreiche Regierungen in Energiefragen. Seit 2007 ist er Mitglied des Internationalen Forums für spaltbare Materialien an der Universität Princeton. Er ist Autor des renommierten „Welt-Statusbericht Atomindustrie 2009“ und wurde 1997 mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt. 1959 in Köln geboren, lebt er derzeit in Paris.