Datteln/Krefeld. Macht der Pikser krank oder schützt er mein Kind vor gefährlichen Infektionskrankheiten? Kaum ein Thema wird so kontrovers diskutiert wie die Schutzimpfung. Hinzu kommt, dass Kritiker vor allem finanzielle Interessen hinter den Impfungen sehen. Zwei Mediziner blicken auf die Debatte.

Janine* und Max* haben lange überlegt. Sie haben sich beraten lassen, Bücher gelesen, im Internet recherchiert, sich wieder beraten lassen. Und schließlich entschieden: Sie werden ihren Sohn nicht impfen lassen. Noah* ist mittlerweile sieben – ernsthaft krank ist er bisher nie gewesen. Doch bedeutet das automatisch, dass seine Eltern richtig gehandelt haben?

Die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Institutes weist regelmäßig darauf hin, gegen welche Krankheiten man sich und seine Kinder impfen lassen sollte. Momentan sieht dieser Plan für Kinder bis zum zweiten Lebensjahr Impfungen gegen zwölf verschiedene Krankheiten vor. Manche der Impfstoffe sind als Kombinationspräparate erhältlich, dennoch kommen einige Pikser zusammen, wenn man den Empfehlungen der STIKO folgt. Wenn. Denn das Thema ist emotional aufgeladen. Neutral ist hier niemand.

Aufklären – nur wie?

„Teilweise nimmt die Abwehrhaltung bei Impfgegnern aber auch bei Befürwortern schon religiöse Züge an“, sagt Prof. Michael Paulussen, Ärztlicher Direktor der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln.

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Auch er kann nicht vollkommen objektiv bleiben: Er hat viele Krankheiten, vor denen er warnt, schon zuschlagen sehen. Impfungen seien, verglichen mit den Krankheiten, vor denen sie schützen sollen, das deutlich kleinere Übel, sagt er. Auch die Krefelder Kinderärztin Nicola Fels steht Impfungen nicht generell ablehnend gegenüber: „Sie können ohne Zweifel Krankheiten verhindern und haben schon viel Gutes bewirkt. Es gibt aber Lebenssituationen, in denen Gesundheitsförderung effektiver ist als Krankheitsverhinderung.“

Daher legt sie besonderen Wert auf die Aufklärung der Eltern. Es sei in diesem Zusammenhang allerdings problematisch, sagt sie, dass es kaum Studien zu Nebenwirkungen von Impfungen gebe. Zwar unterliegt ein Verdacht auf Impfschäden der Meldepflicht, einen möglichen Zusammenhang zwischen Impfstoff und Symptomen festzustellen ist jedoch kompliziert. So wurden 2009 in NRW 39 Anträge auf Anerkennung von Impfschäden gestellt, jedoch nur fünf bewilligt. Deutschlandweit waren es 222 Anträge und 38 Bewilligungen.

Die häufigsten anerkannten Impfschäden gab es demnach bei der FSME- und der Influenza-Impfung. Die STIKO bezieht bereits vorhandene Erkenntnisse zu Nebenwirkungen und Folgen einer Impfung in ihre Überlegungen mit ein, stellt allerdings selbst keine entsprechenden Nachforschungen an, was aufgrund dessen, dass die Tätigkeit ehrenamtlich erfolgt, auch schwer zu bewerkstelligen sein dürfte.

Die Standpunkte der Ärzte

Wo Nicola Fels vor allem auf Aufklärung über Risiken von Impfungen setzt, geht es Paulussen eher um die Risiken, die von Krankheiten ausgehen. „Das Problem ist: Einen Autounfall haben die meisten schon einmal gesehen, einen Wundstarrkrampf nicht“, sagt der Mediziner. Beide Ärzte wollen Kinder vor Krankheiten bewahren – Paulussen vertraut den Impfstoffen und den STIKO-Empfehlungen, Fels möchte je nach Einzelfall schauen, wo Impfungen sinnvoll seien und wo nicht, „natürlich nur, wenn die Rahmenbedingungen wie gesunde Ernährung, ausreichende Bewegung und genügend Schlaf stimmen“.

Die Kinderärztin findet es bedenklich, dass Ärzten mehr Geld für das Impfen von Kindern, als für die Impfberatung der Eltern gezahlt werde. Oft würden die Ängste der Eltern gezielt geschürt.

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Einig sind sich Nicola Fels und Michael Paulussen darin, dass besorgte Eltern am ehesten noch auf die Windpocken-Impfung verzichten könnten. Wenn es jedoch um Masern geht, sind beide der Ansicht: „Hier muss geimpft werden.“ Paulussen: „Einer von 1000 Erkrankten bekommt eine Gehirnentzündung“ – schwere Behinderungen könnten entstehen. Oft handele es sich um Spätfolgen, die auch lange nach der eigentlichen Infektion auftreten könnten.

Wobei Nicola Fels zu bedenken gibt, dass erst die weltweite Ausrottung der Krankheit wirklich Sicherheit bringen könne und man davon noch viel zu weit entfernt sei – in Entwicklungsländern sind Masern eine der Haupttodesursachen.

Andere, höchst gefährliche Krankheiten wie zum Beispiel Diphtherie, früher „der Würger der Kinder“ genannt, gelten hierzulande als ausgerottet, treten aber aktuell wieder vermehrt in Krisenländern wie Syrien auf.

So rät Nicola Fels auch Eltern, die ihr Kind beispielsweise gegen Polio impfen möchten (obwohl die Krankheit in Deutschland keine große Gefahr mehr darstelle, wie sie sagt), dafür zu sorgen, dass ein Kind in Syrien ebenfalls eine Impfung erhalte.

Die Frage der Unabhängigkeit

Den pauschalen Vorwurf einiger Impfgegner, dass es bei den Impfempfehlungen der STIKO nur um finanzielle Interessen gehen würde, will Paulussen nicht gelten lassen: Natürlich spielten im Zusammenhang mit Medikamenten auch immer die kommerziellen Aspekte eine Rolle, vielfach handele es sich jedoch um „alte Impfstoffe, mit denen man nicht mehr viel Geld verdienen kann“. Sobald der Patentschutz auslaufe, würden die Preise drastisch einbrechen. Ein weiterer Vorwurf, den nicht nur erklärte Impfkritiker äußern, gilt der Zusammensetzung der STIKO: Die Mitglieder haben teils lukrative Beziehungen zur Pharmaindustrie, seit 2009 müssen sie diese offenlegen.

Prinzipiell hätten die Impfgegner in einem Punkt Recht, sagt Paulussen: „Man kann nie wissen was passiert.“ Auch bei der zehnmillionsten Verabreichung eines Impfstoffes könne eine neue, schlimme Komplikation beobachtet werden. Aber die Kontrollen, die ein Impfstoff vor seiner Zulassung durchlaufe, seien strenger und daher auch viel zuverlässiger als beispielsweise bei einem Kosmetikprodukt oder Lebensmittel. Unter anderem wegen des Contergan-Skandals in den 60er-Jahren werde die Arzneiforschung von staatlicher Seite extrem stark reglementiert. Dennoch spricht sich Nicola Fels dafür aus, verantwortungsvollen Eltern „die Freiheit zu lassen, selbst zu denken“ und sie als Mediziner bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen.