Bochum. Einst besiegt geglaubte Geschlechtskrankheiten sind seit einiger Zeit wieder auf dem Vormarsch. Schuld sind meist enorme Wissenslücken und Tabus. In Bochum schließen sich jetzt Ärzte, Beratungsstellen und Gesundheitsamt zusammen, um das zu ändern und planen ein Zentrum für sexuelle Gesundheit.
"Zu viele Menschen denken, Chlamydien seien eine griechische Insel", sagt Professor Norbert Brockmeyer. Doch der Bochumer Arzt mit Spezialgebiet Immunologie und Geschlechtskrankheiten kennt sehr wohl den ernsten Hintergrund seines Medizinerscherzes: Chlamydien-Infektionen gehören zu den häufigsten sexuell übertragbaren Krankheiten, den sogenannten "STI". Wie Gonorrhoe (Tripper), Syphilis oder Herpes-Genitalis, sind sie in ganz Europa wieder auf dem Vormarsch, warnt der Mediziner.
"Wir haben auf dem Gebiet der STIs eine Versorgungslücke". Um diese zu schließen, verfolgt das Katholische Klinikum Bochum, an dem Brockmeyer tätig ist, mit weiteren Partnern einen ehrgeizigen Plan: In der Ruhrgebietsstadt soll ein Zentrum für sexuelle Gesundheit entstehen, das sich in einer Art Modellprojekt dem Kampf gegen Geschlechtskrankheiten widmet.
Viele Experten unter einem Dach
Unter einem Dach sollen möglichst viele Experten und Ansprechpartner zusammenkommen: Aidshilfe, Mediziner, Gesundheitsamt, Beratungsstellen für Prostituierte, niedergelassene Ärzte vom Gynäkologen bis zum Urologen sollen an einem Strang ziehen. In England habe man mit optimal vernetzten Einrichtungen gute Erfahrungen gemacht, in Deutschland sei ein derartig breit anlegter Ansatz bislang einzigartig, so Brockmeyer.
Grundlage für das geplante "Zentrum für sexuelle Gesundheit" sind die schon jetzt intensiven Bande zwischen den Einrichtungen, die in der Ruhrgebietskommune mit sexuellen Krankheiten konfrontiert sind. "Wir bemühen uns in Bochum schon sehr, etwas zu tun", sagt Gesundheitsamtsleiter Ralf Winter: Rund 2000 Menschen sind im vergangenen Jahr beraten worden, das Gesundheitsamt bietet anonyme Blutuntersuchungen an, Mitarbeiter informieren im Klassenzimmer Jugendliche. Aber: "Der Beratungsbedarf ist höher, als das, was wir als Kommune leisten können." Wenn es soweit ist, wird auch das Gesundheitsamt eine Beratungszweigstelle im neuen Zentrum eröffnen.
Ergänzung zum medizinischen Ansatz
Die Aidshilfe hat das Thema "Sexuelle übertragbare Infektionen" bereits 2006 in die Vereinssatzung aufgenommen , sagt deren Geschäftsführer Arne Kayser. Als bereits fest verankerter Ansprechpartner will der Verein im geplanten Zentrum auch Ergänzung zum medizinischen Ansatz sein: "Mit unserer Beratungskompetenz und unseren Netzwerken haben wir ganz andere Voraussetzungen", sagt Kayser. Weitere Kooperationspartner - von der Prostituiertenberatung bis zum psychosozialen Beratungszentrum für Homosexuelle - sollen ebenso mit an Bord, um bestehende Netzwerke zu Risikogruppen einzubeziehen.
"Es ist ganz, ganz wichtig, dass wir ein maximal durchlässiges Angebot schaffen, wo die Leute mehr oder minder hineinfallen", sagt Brockmeyer. Zwar gebe es in Bochum viele Stellen, an die man sich wenden könne. Aber: "Wir haben zu viele Brüche in der Versorgung." Diagnostik, psychosoziale Beratungsarbeit und Therapie brauchen kurze Wege, gerade in tabuisierten Bereichen wie dem Genitalbereich.
Auch und gerade in einer Gesellschaft, in der Pornos Sex als Leistungssport vorgaukelten, falle es jungen Männern und Frauen schwerer als je zuvor über sexuelle Probleme zu reden. Hemmungen gebe es aber auch bei Ärzten, so Brockmeyer. "Es lässt sich leichter über einen Herzinfarkt reden als über Genitalwarzen oder Syphilis und insbesondere bei jungen Erwachsenen ist großes Feingefühl nötig." Weil STI viele Jahre selten waren, seien diese Infektionen und ihre Symptome schwer zu deuten. "Jetzt wo die Neuinfektionen wieder ansteigen, fehlt es an Erfahrung". (dpa)