Saarbrücken. Stress ist oft selbst gemacht, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. So sind hohe Ansprüche an sich selbst einer der häufigsten Stressfaktoren für die Deutschen. Doch wie lässt es sich vermeiden, dass man zu viel von sich verlangt?
Millionen fühlen sich zunehmend gestresst: Bei 53 Prozent der Erwachsenen in Deutschland ist das Leben nach eigenem Empfinden in den vergangenen Jahren stressiger geworden. Frauen fühlen sich häufiger gestresst als Männer, Großstädter häufiger als Landbewohner. Das geht aus einer Studie der Techniker Krankenkasse hervor, die am Mittwoch (30. Oktober) in Berlin vorgestellt wurde.
Egal, ob im Job oder im Privatleben: Es geht nicht immer alles glatt. Wer das jedoch stets erwartet, ist schnell gestresst, wenn doch mal etwas schiefgeht. Was dagegen hilft, erläutert Prof. Jan Mayer von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken im Interview. Mayer ist Führungskräftecoach und Sportpsychologe.
Wie vermeide ich es, zu hohe Ansprüchen an mich zu stellen und in Stress zu geraten?
Mayer: Zunächst ist eine klare Zielformulierung sehr hilfreich. Dabei machen viele Menschen den Fehler, davon auszugehen, dass alles glatt läuft, keine Probleme, Fehler und zeitliche Verzögerungen auftreten. Da das in der Realität nur selten der Fall ist, ist es sehr wichtig, solche Faktoren bei der Festlegung von Zielen zu berücksichtigen. Weiterhin sollte man sich überlegen, zu welchen Leistungen man in welcher Zeit tatsächlich in der Lage ist und an welcher Stelle es vielleicht eher angebracht wäre, einfach mal "Nein" zu sagen.
Wie merke ich, dass ich zu hohe Ansprüche an mich stelle?
Mayer: Ein ganz entscheidender Hinweis auf zu hohe Ansprüche kann die Tatsache sein, dass man dauerhaft seine selbst gesetzten Ziele nicht erreicht. Egal, wie viel Einsatz gezeigt wird, man hat immer nur Misserfolge und damit verbunden Ärger und Frustration. Ein weiterer Hinweis kann sein, dass man objektiv erfolgreich ist, im Umfeld auch gutes Feedback für seine Arbeit bekommt und dennoch nicht zufrieden mit der eigenen Leistung ist. An dieser Stelle sollte man sich erstens überlegen, ob die selbst gesetzten Ziele tatsächlich den individuellen Ressourcen entsprechen, und zweitens, ob die Unzufriedenheit bezüglich der eigenen Leistung berechtigt oder der eigene Anspruch vielleicht strenger als nötig oder gar irrational ist.
Gibt es Warnsignale?
Mayer: Wie schon erwähnt, bedeuten zu hohe Ansprüche, dass man entweder nur Misserfolge erlebt, sich über seine Erfolge nicht freuen kann oder diese gar nicht wahrnimmt. Häufig hiermit verbunden sind Unzufriedenheit, Gereiztheit, Ärger, Frustration, Wut, eventuell Trauer oder auch Denkblockaden, Herzrasen oder Übelkeit. Treten häufig solche Symptome in Zusammenhang mit der eigenen Leistung auf, kann sich dies negativ auf die Gesamtstimmung, die Gesundheit und auch auf andere Lebensbereiche auswirken. Dauerstress kann zu Verspannungen, Magenbeschwerden, Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit führen. Auch Erschöpfungssyndrome wie Burnout können die Folge von Dauerstress sein.
Was sollte man unternehmen, wenn man merkt, es läuft aus dem Ruder?
Mayer: Die Einsicht, dass mit einem etwas nicht stimmt, ist ein erster wichtiger Schritt. Dann können Informationen oder erste Coaching-Maßnahmen hilfreich sein. Die Strategien, die einen dann wieder in die richtige Richtung lenken, können allerdings individuell sehr unterschiedlich sein. Ganz wichtig können gerade zu Anfang Pausen zur Erholung beziehungsweise Ablenkung sein, um erst einmal wieder Kräfte zu tanken.
Wie schaltet man denn am besten richtig ab?
Mayer: Die Entspannung nach der Arbeit sollte in erster Linie eine Abwechslung sein und nicht mit erneutem Leistungsdruck verbunden sein. Wir sprechen hier von sogenannten Gegenwelten, die vor allen Dingen selbstbestimmt und spaßorientiert sein sollen. Die Tätigkeit selbst sollte im Vordergrund stehen - und nicht das Erreichen von Zielen. Je nach Charakter und Vorlieben kann dies zum Beispiel Aktivität in Form von lockerem Sport sein oder aber auch ein Buch lesen, baden, malen, mit der Familie, Freunden, dem Partner etwas unternehmen oder einem anderen Hobby nachgehen.
Wichtig: Gegenwelten müssen gepflegt werden! Es hat sich gezeigt, dass das regelmäßige, zum Beispiel wöchentlich drei bis vier Stunden Entspannen in Gegenwelten sehr viel effektiver ist als der einmalige dreiwöchige Jahresurlaub. Ein festes Ritual wie eine Tasse Tee am Abend kann den Übergang von Arbeit zu Feierabend erleichtern. Computerspiele und Fernsehen sind für Entspannung nach der Arbeit weniger gut geeignet. (dpa)