Essen. Die deutsche Drogenpolitik setzt auf Verbote. Wer mit Kokain, Ecstasy oder Marihuana erwischt wird, macht sich strafbar. Wer dagegen haushaltsübliche Reinigungsmittel konsumiert, hat vor Gericht nichts zu befürchten. Darauf setzen Chemiekonzerne aus China und den USA. Sie verdienen auf dem deutschen Markt viel Geld. Der Versuch, die Substanzen zu verbieten, wird scheitern - fast wöchentlich kommen neue Stoffe hinzu.
Sie heißen Badesalz, Räuchermischung, Lufterfrischer oder Wannenreiniger: Neue Drogen aller Art, die vom Chemielabor aus die Diskos, Schulhöfe und Bahnhofstoiletten des Landes erobern. Immer dann, wenn Polizei und Gesetze die neuen Stoffe auf den Index gesetzt haben, gibt es schon wieder etwas Neues, etwas, das von den Betäubungsmittelgesetzen nicht erfasst ist und sich unberechenbar auf die meist sehr jungen, experimentierfreudigen Konsumenten auswirkt.
Wer sich dieses Zeug im Netz bestellt und die Hinweise in einschlägigen Foren befolgt, kann sich in den folgenden Tagen auf einiges gefasst machen. Wer Glück hat, dem ergeht es wie dem User, der sich ein Jahr lang dem Räuchermischung-Intensivtest unterzog. Er fühlte sich wie in die Couch gedrückt, so stark, dass es seiner Meinung nach schon „leicht in die Richtung Opium“ ging. Dennoch testete er zwölf Monate lang unerschrocken weiter: „Nach der Couch-drück-Phase hatte sich eine gewisse Toleranz aufgebaut, welcher ich anfangs erfolgreich durch die Zugabe von Alkohol in den Versuch entgegenwirkte, was dann aber arbeitstechnisch nicht mehr durchführbar war“ berichte er von seinem Alltag.
"Cannabis, Speed und Koks 2.0"
Michael Knodt, Chefredakteur des Hanfjournals in Berlin, befasst sich schon seit längerem mit der Wirkung der Chemiedrogen. „2007 habe ich auf einer Messe das erste Paket in die Hand gedrückt bekommen – doch in den Medien tauchte das Thema erst mit zwei Jahren Verspätung auf.“ Zu dem Zeitpunkt waren Räuchermischungen, die größtenteils auf künstlichen Cannabinioden oder Indol-Verbindungen basieren und die Wirkung von Cannabis nachahmen, in der Szene nicht mehr neu. Sie wirken um ein vielfaches stärker als ein Marihuana-Joint. Noch gefährlicher sind Badesalze, die sich in der Wirkung an harten Drogen orientieren.
Knodt setzt auf Transparenz und Information. Auf der Homepage des Hanfjournals wird ausführlich erklärt was in „Cannabis, Speed und Koks 2.0“ wirklich drin ist. Die Konfrontation mit einem Internetshop-Betreiber, der alle Bedenken mit Standardaussagen (Uns ist bekannt, dass einige Produkte missbräuchlich genutzt werden, hiervor warnen wir und raten ausdrücklich davon ab!) abfertigt, zeigt, was die Hanf-Aktivisten in Berlin ahnten: Sowohl Zwischenhändler als auch Unternehmen wollen vom Missbrauch ihrer Produkte möglichst nichts wissen – sie wollen nur daran verdienen. Hinweise über Inhaltsstoffe oder Wechselwirkungen mit anderen Substanzen sucht man daher auf den Packungen der Badesalze oder Räuchermischungen vergeblich.
Die Chemiekonzerne und ihre Zwischenhändler können angeblich Gewinnspannen von 250 Prozent realisieren
„Perfekt für Festivalsaison – echter Rausch ohne irgendeine verbotene Substanz“ oder „Völlige Euphorie und unglaublicher Sex! Garantiert!“ mit Werbesprüchen wie diesen werben die Headshops im Netz um die jungen Kunden. Da jede Seife besser über ihren Inhalt informiert als die „Legal herbal party pills head shops“, die mit den Mischungen angeblich eine Gewinnspanne von 250 Prozent erzielen, weichen die Konsumenten auf Erfahrungsberichte aus. „Vap“, der sich mit einer Substanz namens „New York Taxi“ die Birne weggeschädelt hat, schreibt begeistert: „Die Vase frisch gesäubert, starten wir gespannt in den Test.“ Das Taxi fährt erst langsam, doch dann immer schneller durch die Blutbahn der Testpersonen, noch bevor es seine volle Wirkung entfaltet, gibt es eine und noch eine „Vase“. „So gut benebelt waren wir schon lang nicht mehr. Einfach richtig gut“ lautet das Testergebnis, das dem Chemiekonzern wohl noch ein paar Kunden bringen wird. Noch „viel mehr hardcore“ sei jedoch eine Mischung namens „Am 2201“, die allerdings, ärgerliche Nebenwirkung, die Zähne stark angreift und für Entzündungen im Mundraum sorgt. Egal, findet „hutzel“: „Der Zahnarzt richtet es immer wieder – ist nur ne Kostenfrage“.
Weiter unten in den Kommentaren wird es noch konkreter, ein neues Zeug aus Ungarn macht die Runde, halluzinogen und „scheppert ordentlich auf die Optik“, wie die User voller Freude berichten.
„Mein Herz raste so schnell, dass ich nicht mehr zählen konnte, die Luft wurde knapp“ – ein vergleichsweise harmloser Erfahrungsbericht
Im Forum „legal-highs-fly“ gibt es keine fröhlich-verkaufsfördernden Erfahrungsberichte. Hier stehen die Schattenseiten von Räuchermischung und Badesalz im Vordergrund – denn davon gibt es viele. „Mein Herz raste so schnell, dass ich es nicht mehr zählen konnte und die Luft wurde auch so langsam knapp. Der Schweiß rann mir in Strömen herunter und ich dachte nur Gott lass es vorbeigehen“ berichtet Marek, der kurz nach dieser Erfahrung im Krankenhaus landen sollte. Der behandelnde Arzt war mit den Symptomen jedoch ähnlich hilflos wie der Patient. So oder ähnlich ist es vielen ergangen, die ihre Erlebnisse teilen. In kindlicher Sprache und ungelenker Grammatik berichten sie davon, wie sie mit Durchfall in der Notaufnahme landen, Blut kotzen und sich tagelang nicht bewegen können.
Die Mischungen, die dafür verantwortlich sind, haben lustig-bunte Namen wie „Bla Bla“, „Banana“ oder „Mary Joy Warning“ – fast jede Woche kommt irgendetwas Neues dazu. Mitte November ließ die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) vermelden, dass im vergangenen Jahr 41 neue Substanzen aufgetaucht seien. Der „Legal-High-Boom“ lässt vermuten, dass es 2011 noch etwas mehr sein werden. Marihuana und Kokain sind dagegen auf dem Rückzug. Trotz allem ist festzuhalten: Die Bedeutung von Legal Highs ist hierzulande nach wie vor gering. Eine Stichprobe von etwas mehr als 1000 Schülern im Kreis Frankfurt am Main, auf die sich ein Großteil aller Beobachtungen im Raum Deutschland bezieht, besagt, dass sieben Prozent der 15-18-Jährigen „Legal-High“-Erfahrungen haben. Übers Probieren hinaus geht es jedoch bei den wenigsten. Gerade mal ein Prozent der Frankfurter Schüler greift regelmäßig zur Kräutermischung aus dem Chemielabor.
Nun sollen ganze Stoffgruppen verboten werden
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans prüft nun, ganze Stoffgruppen ins Betäubungsmittelgesetz aufzunehmen. Michael Knodt glaubt nicht, dass dies einen großen Durchbruch im Kampf gegen Legal Highs bringen wird. „Für die großen Chemiekonzerne in China oder den USA und deren Zwischenhändler ist es sehr leicht, die Produkte so zu verändern, dass sie wieder legal sind“ erklärt er. Die hohen Gewinnmargen machen das Geschäft sehr attraktiv. Und selbst Tim Pfeiffer-Gerschel von der Beobachtungsstelle in Deutschland (DBDD) musste kürzlich einräumen, dass die Szene der Gesetzgebung stets um mehrere Schritte voraus ist. Identifizieren die Behörden eine Substanz als gefährlich, ist diese meist schon wieder out.
Cannabis-Lobbyist Knodt fordert ein Umdenken der deutschen Drogen-Politik. Statt mit Verboten und Kontrollen den Entwicklungen am Markt hinterherzuhecheln, müsse man informieren, regulieren und – natürlich – Marihuana legalisieren. Der entscheidende Vorteil der gefährlichen Chemie-Mischungen gegenüber Cannabis sei allein ihre Legalität. Erbrechen, Ohnmachtsanfälle und Krankenhausaufenthalte; diese Nebenwirkungen würden wohl die meisten Räuchermischung-Fans am liebsten umgehen.
Legal Highs zeigen auf, was in der deutschen Drogenpolitik schief läuft
Doch die Verständigung zwischen Drogenbeauftragten und Drogenkonsumenten bleibt schwierig. „Vor ein paar Wochen war ich Zeuge einer Drogen-Informationsveranstaltung in der achten Klasse eines Berliner Gymnasiums. Die halbe Klasse hatte sich vor der Stunde so bekifft, dass sie der Veranstaltung nur lachend oder dösend folgen konnten – aber die Sozialarbeiterin merkte gar nichts.“ Wenn jemand über Drogen informiert, der nicht einmal merkt, wenn er vor einer komplett zugedröhnten Klasse steht, dann, so bewertet Knodt das Erlebnis, machen sich die Offiziellen lächerlich.
Legal Highs machen es möglich, dass sich Kinder legal mit unberechenbaren Stoffen betäuben, Koch- und Baupläne im Internet tauschen und danach ohnmächtig und mit schweren Organschäden in der Notaufnahme landen. Dort treffen sie auf Ärzte, die nicht wissen, was sie mit ihnen anfangen sollen. Auch wenn die Zahlen nicht alarmierend sind, so ist das öffentliche Interesse an diesen importierten Chemie-Drogen groß. Denn sie zeigen exemplarisch auf, wie wenig es die Politik vermag, auf die Entwicklungen des globalen Rauschgiftmarktes zu reagieren. In bemerkenswerter Offenheit heißt es auf der Homepage der Drogenbeauftragten Dyckmans: „In vielen Ländern der Welt zeigt sich ein deutlicher Trend zu häufigerem Konsum von synthetischen Drogen. Gleichzeitig werden auf einem sich schnell weiterentwickelnden Markt ständig neue Substanzen angeboten, die bisher dem Betäubungsmittelgesetz noch nicht unterstellt sind. Dies führt zu Verunsicherungen bei allen Akteuren. Beratungsstellen sind von der Schnelligkeit neuer Entwicklungen überrumpelt.“
Das geplante Verbot dokumentiert vor allem eines: Hilflosigkeit.