Berlin. . In der offenen Drogenszene werden laut einer Studie der Uni Hamburg Heroin-Ersatzstoffe häufiger missbräuchlich verwendet als bei Süchtigen, die in Behandlung sind. Derzeit nimmt nur ein Drittel der schwer Drogensüchtigen an Ersatzprogrammen teil.

Der Missbrauch von Heroin-Ersatzstoffen kommt in der offenen Drogenszene weitaus häufiger vor als bei Süchtigen, die sich einer entsprechenden Behandlung unterziehen. Der Hamburger Suchtmediziner Jens Reimer fordert deshalb einen Ausbau der sogenannten Substitutionstherapie und mehr Anreize für Ärzte, ein solches Angebot anzubieten.

Von schätzungsweise 200.000 schwer opiatsüchtigen Menschen in Deutschland nehmen derzeit etwa 77.400 an einem Drogen-Ersatzprogramm teil. Reimer, Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg, ging in einer Studie der Frage nach, warum und wie häufig Substitutionsmittel missbräuchlich verwendet werden.

Die Befragung von gut 800 Drogenabhängigen in zehn Städten ergab, dass etwa 15 Prozent derjenigen, die sich in suchtmedizinischer Behandlung befinden, in den vorangegangenen 30 Tagen Drogen-Ersatzmittel missbräuchlich verwendet hatten, im Vergleich zu mehr als 45 Prozent der Nicht-Substituierten.

Bezugsquelle Ausland

Als Hauptmotiv gab die Mehrzahl an, es sei kein Heroin verfügbar gewesen. Bei den Substituierten erklärten außerdem viele, die verschriebene Dosis sei zu niedrig. Auch der Grund, keinen Arzt für eine Ersatz-Therapie gefunden zu haben, spielte eine Rolle. Opiat-Ersatzprodukte wie Methadon fallen unter das Betäubungsmittelgesetz und können nur ärztlich verordnet werden. Als Bezugsquelle der missbräuchlich verwendeten Mittel nannte Reimer das Ausland - in Frankreich beispielsweise sei die Verschreibungspraxis liberaler als in Deutschland - sowie substituierte Freunde oder Bekannte, die die Präparate weitergäben. Der Schwarzmarktpreis für eine Tagesdosis liegt nach seinen Angaben zwischen durchschnittlich acht bis zehn Euro. Grundsätzlich bezeichnete der Suchtmediziner die Substitutionstherapie als unverzichtbar und sprach sich - ungeachtet der Zahlen über Missbrauch - auch gegen weitere Restriktionen bei der Vergabe aus.

Bei Süchtigen, die sich therapieren ließen, liege die Sterblichkeitsrate deutlich niedriger, auch seien sie besser sozial integriert, sagte er. Sie seien, wenn auch auf niedrigem Niveau, häufiger in Voll- oder Teilzeit berufstätig und befänden sich seltener in einer prekären Wohnsituation.

Therapie für Ärzte attraktiver machen

Die Behandlung könne aber noch verbessert werden, sagte Reimer. Er sprach sich für eine ganzheitliche Therapie aus, bei der neben der Vergabe der Drogenersatzstoffe auch andere Gesundheitsfragen berücksichtigt würden. So habe die Studie eine erschreckende niedrige Impfquote bei Hepatits B ergeben. Auch müssten über die Medikamentenvergabe hinaus mehr therapeutische Angebote gemacht werden, zum Beispiel für Süchtige mit Migrationshintergrund.

Die Substitutionstherapie müsse aber auch für Ärzte attraktiver gemacht werden. Von den etwa 6500 Medizinern in Deutschland, die eine entsprechende Qualifikation hätten, substituierten nur rund 2500. Dies habe zum Teil wirtschaftliche Gründe, zum anderen juristische: Die Drogen-Ersatztherapie sei stark reglementiert, "man kann viele Fehler machen und mit dem Gesetz in Konflikt kommen", erklärte Reimer. (dapd)