Leinfelden.
Monogamie scheint im Tierreich nicht sinnvoll zu sein. Denn aus biologischer Sicht ist Treue die Ausnahme, Seitensprünge sind dagegen die Regel. Jetzt stellen Biologen auch die Sinnhaftigkeit der menschlichen Monogamie infrage.
Löwen tun es, Schwertwale ebenfalls, ja selbst Elefanten können sich nicht zurückhalten: Sie alle sind notorische Fremdgänger -¬ und damit bei weitem nicht allein, im Gegenteil. Je intensiver Biologen das Sozial- und Sexualverhalten von Tieren untersuchen, desto mehr häufen sich die Indizien dafür, dass nicht die Fremdgänger, sondern die Treuen die Ausnahmen im Tierreich sind. Das stellt auch die Monogamie des Menschen infrage, meinen viele Wissenschaftler.
Menschen lebten in Vielehen zusammen
Der Mensch sieht sich selbst als Krone der Schöpfung: Mit Vernunft begabt, muss er bei seinen Entscheidungen nicht zuletzt eine Vielzahl selbst auferlegter moralischer Grundsätze berücksichtigen. So auch bei der Partnerwahl. In den westlichen Kulturkreisen ist eine monogame Beziehung das gesellschaftlich akzeptierte Idealbild, Seitensprünge gelten als verachtenswert. Doch das war nicht immer so, so der Wissenschaftsjournalist Klaus Wilhelm: Den größten Teil seiner Geschichte lebte der Mensch in Vielehen, wie sie auch heute noch in vielen Regionen der Welt gepflegt werden.
Kein Wunder, dass gerade die Moralisten westlicher Zivilisationen nach Belegen für eine biologische Sinnhaftigkeit der Monogamie suchen ¬- dabei aber immer häufiger Beweise für das Gegenteil finden. Selbst Tierarten, die als Paradebeispiele für soziale und sexuelle Zweierbeziehungen galten, stellen sich bei genauerer Betrachtung oft als hochgradig polygam heraus.
Zwei Sexualpartner gleichzeitig sind die Regel
Jüngstes Beispiel sind die Gibbonaffen, die zwar feste soziale Beziehungen pflegen, schnellem Sex mit Fremden aber nicht abgeneigt sind. Das Gibbonbeispiel zeigt auch, dass Vielehe keineswegs immer Vielweiberei bedeuten muss, wie es beim Menschen meist der Fall ist. Im Tierreich sind bei vielen Arten sowohl die Männchen als auch die Weibchen nicht zimperlich, wenn es um ein kurzes Zwischenspiel mit dem attraktiven Nachbarn geht. „Gibbon-Weibchen haben ständig was am Laufen“, weiß etwa der Anthropologe Ulrich Reichard von der Southern Illinois University. Zwei Sexualpartner gleichzeitig scheinen eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Entsprechend auffällig signalisieren die Affendamen ihre Bereitschaft zur Vermehrung: Ihr dick geschwollenes Hinterteil ist auch von weitem gut sichtbar.
Eifersucht ist kein menschliches Phänomen
Eifersucht ist auch in der Tierwelt kein Fremdwort: Blaumeisen etwa leben, wie rund 90 Prozent aller Vogelarten, zumindest sozial monogam, ziehen also den Nachwuchs gemeinsam auf - was sie jedoch von gelegentlichen Seitensprüngen nicht abhält. „Blaumeisenweibchen tun alles, um einen Seitensprung zu verbergen“, sagt Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie im oberbayerischen Seewiesen. Deshalb haben die Frühaufsteher unter den Männchen besonders gute Chancen auf eine kleine Liebelei: Die Weibchen besuchen die zeitigen Sänger noch in den frühen Morgenstunden, bevor ihr eigener Partner erwacht, und sind rechtzeitig zum gemeinsamen Frühstück wieder zurück im Nest ¬ ein Verhalten, das doch sehr an das mancher menschlicher Schürzenjäger erinnert.
Aber lohnt sich dieser Stress überhaupt? Eine klare Antwort auf diese Frage ist vor allem deshalb so schwierig, weil männliche und weibliche Lebewesen gegensätzliche Vermehrungsstrategien verfolgen: Eine weibliche Eizelle zu produzieren, kostet deutlich mehr Energie als die Herstellung einer Vielzahl von Spermien. Ergo wollen Weibchen vor allem das Ergebnis einer befruchteten Eizelle verteidigen und die Männchen an sich binden, während diese den besten Fortpflanzungserfolg erzielen, indem sie ihre kostengünstig produzierten Spermien auf möglichst viele Frauen verteilen. Doch welche Vorteile bieten Vielehen und Seitensprünge den Weibchen?
Bei Blaumeisen hat Bart Kempenaers eine mögliche Antwort gefunden: Ihre Liebhaber stammen aus weiter entfernten Brutgebieten und unterscheiden sich somit im Erbgut mehr von den Weibchen als ihre sozialen Partner. Und je größer die genetische Vielfalt ist, desto gesünder und leistungsfähiger sind die Jungen: „Sie wachsen besser und haben später mehr Nachkommen“, sagt der Vogelforscher. Gleiches scheint auf Alpen-Murmeltiere zuzutreffen. Bei den Blaumeisen bauen die Weibchen den so gewonnenen Vorteil sogar noch aus: Sie beeinflussen beim Eierlegen die Reihenfolge, damit die Jungen fremder Männchen zuerst schlüpfen und somit besonders viel Aufmerksamkeit erfahren. Wie die Weibchen das anstellen, ist noch unklar.
Menschen setzen auf Kompromiss
Die Menschen setzen in ihrem Sexualverhalten auf eine Kompromisslösung: „Meist pflegen wir eine serielle Monogamie“, erläutert der Evolutionsbiologe David Barash von der University of Wisconsin. Mann und Frau bleiben also zumindest so lange zusammen, bis der Nachwuchs aus dem Gröbsten heraus ist. Insbesondere Männer sehen sich anschließend jedoch häufig nach einer neuen, jüngeren Partnerin um. Doch obgleich Barashs Ansicht nach Monogamie eindeutig nicht in der Natur des Menschen liegt, gibt es biologische Mechanismen, die monogame Beziehungen begünstigen: Sogenannte Liebeshormone wie Oxytocin oder Vasopressin stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Wohlbefinden in Paarbeziehungen ¬ bei einen mehr, bei andern weniger. (ddp)