Essen. . Es gibt Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen wollen. Die Bedenken dieser Minderheit sind menschlich nachvollziehbar, rational aber nicht.
Es ist erst ein paar Wochen her, da machte Jutta Behrwind bundesweit Schlagzeilen: Die Kita-Leiterin hatte in ihrer „Kinderkiste“ in Essen-Huttrop die Impfpflicht für Neuanmeldungen eingeführt – genau wie vier weitere Einrichtungen. Das Erstaunliche ist, dass dies als außergewöhnlich angesehen wurde. Wer sich vor Augen führt, wie in früherer Zeit Masseninfekte Menschen zu Tausenden das Leben gekostet haben oder sie mit lebenslangen Schäden wie bei Polio zurückließen, sollte den Sinn von Impfungen schnell begreifen. Doch es gibt da ein Problem...
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Das Problem ist: All das ist so lange her, dass die heutige Elterngeneration, nicht mal deren Großeltern, eine Epidemie miterlebt hat. Deshalb kennt heute fast jede Mutter und fast jeder Vater andere Eltern, die ihre Kinder nicht oder nur teilweise impfen lassen wollen. Verzwickt wird’s auch im Falle einer Scheidung, wenn die Eltern streiten: Impf ich oder impf ich nicht? Das endet oft vor Gericht. So befand der Bundesgerichtshof 2017 (Az: XII ZB 157/16), dass jener Elternteil entscheiden darf, der den Empfehlungen der Ständigen Impfkommision (STIKO) folgt. Sprich: Wer impfen will, hat recht!
„Größtmögliche Sicherheit für die jungen Kinder“
Impfkritische Eltern erliegen oft einem Wahrnehmungsfehler: Weil so viele Kinder dank Impfung gar nicht erst krank geworden sind, denken sie, dass von den Krankheiten keine oder nur geringe Gefahr ausgeht. Ein Irrtum.
Für Jutta Behrwind hingegen stand der Gedanke der Krankheits-Prävention an oberster Stelle: „Unser Ziel war immer, größtmögliche Sicherheit herzustellen für die jungen Kinder, die noch gar nicht geimpft sein können.“
Von der oftmals beschworenen Impfmüdigkeit der Bevölkerung lässt sich an Rhein, Ruhr und Lenne nichts feststellen. Hans-Henning Karbach, Bereichsleiter Gesundheitswesen der Stadt Oberhausen, ist zufrieden mit den derzeitigen Zahlen: „Wenn wir es an der Masernimpfung festmachen, haben wir eine Durchimpfungsquote von 94,5 Prozent, bezogen auf die Inanspruchnahme von zwei Masernimpfungen, ab denen sich erst der Schutz in voller Wirkung entfaltet.“ Die erste Impfung erhält sogar noch ein höherer Anteil – aber gut drei Prozent denkt, mit dem ersten Teil sei es getan. Vorteil der hohen Impfquote: Hier greift die sogenannte „Herdenimmunität“. Das heißt: Sollte ein einzelner Ungeimpfter sich mit Masern anstecken, wird sich die Krankheit nicht ausbreiten wie eine Epidemie, weil derjenige in der Regel nur mit Menschen zu tun hat, die auch geimpft sind. So wird die Ausbreitung eingedämmt.
Nur zwei Masernfälle im Jahr 2016
Im Jahr 2016, erinnert sich Karbach, gab es in Oberhausen zwei Fälle von Masern, die beide gut ausgingen. Sonst war die Ziffer in den vergangenen Jahren gleich Null. Im Falle einer Masernwelle stirbt einer von 1000 Erkrankten, zuletzt zu beobachten in Bulgarien, wo ein europaweit verschleppter Virus von 2009 bis 2011 über 24.000 Menschen infizierte – und 24 das Leben kostete.
Oft regen sich bei Eltern dennoch Bedenken, wenn sie Worte wie Nebenwirkungen oder gar Impfschäden hören. Beides gibt es, jedoch muss man hier differenzieren. Nebenwirkungen sind recht häufig, aber harmlos. So kann es zu Rötungen und Schwellungen kommen, zu Fieber und Mattigkeit. Ernsthafte Impfschäden hingegen treten extrem selten auf, hier hat man eine Quote von 0,0001% festgestellt. Das heißt: In einem von einer Million Fällen treten Impfschäden auf. „Die Wahrscheinlichkeit, aufgrund einer Impfung zu erkranken, ist wesentlich geringer, als im Laufe des Lebens durch einen solchen gefährlichen Virus angesteckt zu werden“, so Karbach.
Überwältigende Mehrheit für Impfungen
Manche Bedenken, weiß der Amtsarzt, sind längst widerlegt: „Bei Masern, Mumps und Röteln hält sich eine Vorstellung, dass durch diese Impfung die Autismusgefahr steigt.“ Dies beruht auf einer einzigen, nachweislich falschen Untersuchung aus dem Jahr 1998. Sie behauptet sich hartnäckig, weil sie sich einfach gut liest.
Für Karbach – wie für die überwältigende Mehrheit von mehr als 99 Prozent der Mediziner und Wissenschaftler – besteht eindeutig eine positive Wirkung zwischen Impfung und Gesundheit. So sind die Pockenviren heute in der Natur ausgerottet, beim Poliovirus, das Kinderlähmung auslöst, steht man kurz davor. Für Karbach eine klare Sache: „Man kann einen ganz klaren Zusammenhang herstellen zwischen dem Zeitpunkt der Impfungen und dem Rückgang der Erkrankungen. Und es ist klar: Impfen hilft deutlich mehr, als es schaden kann.“
>>> „Kinderlähmung ist grausam” - Ein Blick in die Impf-Geschichte
Man mag es sich heute kaum noch vorstellen, aber der Ausbruch einer einfachen Infektionskrankheit wie der Pocken hat in früheren Jahrhunderten regelmäßig Hunderttausende Menschen das Leben gekostet. Und es war dieses Virus, gegen das zuerst ein Impfstoff entwickelt wurde: 1796 hatte der Landarzt Edward Jenner beobachtet, dass Menschen, die zuvor an den vergleichsweise harmlosen „Kuhpocken“ erkrankt waren, nie an den gefährlichen Pocken erkrankten.
Er führte ein aus heutiger Sicht bedenkliches, aber erfolgreiches Experiment durch. Einen bis dahin gesunden Jungen infizierte er mit dem Wundsekret einer an Kuhpocken erkrankten Magd. Als er Wochen nach der Kuhpocken-Erkrankung den Jungen dem gefährlicheren Pocken-Sekret aussetzte, blieb der gesund.
Aus der Lymphe von an Kuhpocken Erkrankten gewann man das sogenannte Vakzin (von lat. vacca = Kuh), einige deutsche Staaten führten Anfang des 19. Jahrhunderts eine Impfpflicht ein. Auch gegen Diphtherie, Tollwut und Wundstarrkrampf gab’s große Impf-Erfolge.
Viele kennen heute noch den Werbespruch „Schluckimpfung ist süß – Kinderlähmung ist grausam“, mit dem für die Polio-Impfung geworben wurde. Der Impfstoff, Ende der 50er-Jahre von Jonas Salk entwickelt, führte zu einer Pflichtimpfung Anfang der 60er-Jahre. Tatsächlich ist der Polio-Erreger, der Kinderlähmung auslöst und so zu bleibenden, schweren Lähmungen und zu Todesfällen führte, heute beinahe ausgerottet – wenn auch nicht ganz, wie es der Plan der Weltgesundheitsorganisation (WHO) war.