Essen. . Zahl der Organspenden sinkt in Deutschland immer weiter – auch wegen diverser Skandale. Nun rückt das Uniklinikum Essen wieder in den Fokus.
Jeden Tag sterben in Deutschland drei Menschen, die vergeblich auf ein Spenderorgan gewartet haben. Aktuell warten mehr als 10 000 Menschen auf eine neue Niere, eine Leber oder ein Herz, das ihr Leben retten soll. Die Ungewissheit, berichten Betroffene und Angehörige oft, sei das Schlimmste. Das Warten zermürbt vor allem deshalb, weil niemand weiß, ob es sich letztlich gelohnt haben wird.
Wie wichtig und richtig es sei, seine Organe für den Fall der Fälle zu spenden, beteuern deshalb seit Jahren konstant sieben von zehn Menschen in Deutschland. Nur haben die meisten trotzdem noch keinen Spenderausweis, die Zahl der Organspenden sinkt seit vielen Jahren. Dazu dürften diverse Skandale in deutschen Krankenhäusern der vergangenen Jahre beigetragen haben.
Skandal von 2012: Uniklinik Essen im Mittelpunkt
Das Universitätsklinikum Essen, dem aktuell schwere Rechtsverstöße bei Lebertransplantationen vorgeworfen werden, stand dabei schon einmal bundesweit im Mittelpunkt eines Skandals. Vor genau zehn Jahren flogen die Praktiken des Professor Christoph Broelsch’ auf, die sein Richter am Landgericht Essen später als „unerträglich und verwerflich“ verurteilen sollte. Der Starchirurg hatte sich von Patienten, die ohne Spenderorgan dem Tode geweiht waren, eine zeitnahe Transplantation mit Spenden danken lassen. Er nannte die vier- bis fünfstelligen Summen „freiwillig“ geleistete Dankbarkeit, das Gericht wertete sie in seinem Urteil von 2010 als Nötigung und Bestechung. Broelsch wurde zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.
Das Klinikum hat Essen hatte damals eine echte Koryphäe der Transplantationschirurgie verloren, konnte aber seinen Ruf als medizinische Top-Adresse für die Verpflanzung von Lebern und Nieren wahren. Die aktuellen Vorwürfe der Prüfungs- und Überwachungskommission, falsche Angaben zu Organempfängern gemacht zu haben, treffen das Klinikum deshalb ins Mark. Entsprechend schroff fiel die Reaktion aus, in einer „Gegendarstellung“ wies das Universitätskrankenhaus die Vorwürfe nicht einfach zurück, sondern ging gleich zur Gegenattacke über und sprach den Gutachtern „jede spezifische Fachkompetenz“ ab.
Angst vor Missbrauch im Organspendesystem
Das Vertrauen, dass sowohl bei der Organentnahme als auch bei der Vergabe alles mit rechten Dingen zugeht, gilt Experten als mitentscheidend für eine höhere Spenderbereitschaft. Den Umkehrschluss belegen die jährlichen Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. In der jüngsten aus 2016 gaben 20 Prozent derer, die einer Organspende widersprochen haben, an, Angst vor Missbrauch im Organspendesystem zu haben, von allen Befragten drückte noch immer jeder Zehnte sein Misstrauen aus.
Dabei sollen zahlreiche Gesetze und europaweite Mechanismen genau das ausschließen. Spenderorgane müssen der Datenbank Eurotransplant gemeldet werden. Die teilt sie der Dringlichkeit nach dem Empfänger in einem der acht teilnehmenden EU-Länder zu, der auf der Warteliste ganz oben steht. Anlässe für Misstrauen am System gab es in Deutschland aber genug. Im größten und breitesten Skandal um Organtransplantationen warf die Prüfkommission vor fünf Jahren Kliniken in ganz Deutschland Rechtsverstöße vor, dabei witterte sie in Göttingen, Leipzig, München und Münster dahinter System. Patienten sollen bevorzugt, ihr Zustand dramatisiert worden sein, um auf der Warteliste nach oben zu rücken. Die Prüfer warfen Kliniken kriminelle Energie aus wirtschaftlichem Interesse vor.
Ärzte setzen auf Widerspruchslösung
Die juristische Aufarbeitung dauert zum Teil noch an. Die Folge sinkender Spenderzahlen setzte freilich sofort ein und hält bis heute an. Wurden 2011 noch von 1200 Spendern Organe entnommen, sank diese Zahl bis 2016 kontinuierlich auf zuletzt 857.
Wie die Deutschen dazu gebracht werden können, mehr Organe zu spenden, ist ein Dauerthema für die Politik. Lange hatte die Ärzteschaft darum gekämpft, dem Vorbild einiger europäischer Staaten zu folgen und die so genannte „Widerspruchslösung“ durchzusetzen. In vielen Nachbarländern, etwa in Frankreich, Österreich, Polen und Tschechien kommt jeder als Organspender infrage, der dem nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat.
In Deutschland war das nicht durchsetzbar, hier dürfen nur Menschen Organe entnommen werden, die dem zugestimmt und dies auch dokumentiert haben. Liegt kein Dokument vor, müssen ihre Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen eine Entscheidung treffen.
Nur jeder Dritte hat einen Spendeausweis
Trotz wiederkehrender Skandale um Transplantationen ist die Mehrheit der Deutschen bereit, ein Organ oder Gewebe zu spenden. Das geht aus der jüngsten repräsentativen Umfrage hervor, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlicht hat. 69 Prozent der Befragten waren demnach bereit, selbst zum Spender zu werden. Problematisch daran: Nur rund ein Drittel hat diese Absicht auch schriftlich und damit im Notfall eindeutig festgehalten.
Wer in Deutschland ein Organ spenden möchte, soll sich dazu bereits zu Lebzeiten entscheiden. Spenderwillige können das in ihrer Patientenverfügung tun oder einen Organspendeausweis ausfüllen. Diesen Ausweis gibt es inzwischen nicht nur als orange-gelbe Karte fürs Portemonnaie, sondern auch als Applikation fürs Handy. Man kann die Spendebereitschaft auf bestimmte Organe beschränken oder auch eine Vertrauensperson bestimmen, die über eine Organspende bestimmt. Mit der Unterschrift ist die Erklärung verbindlich. Äußern sich Betroffenen gar nicht, entscheiden im Todesfall ihre Angehörigen.
Krankenkassen müssen ihre Versichterten informieren
Krankenkassen sind der Novelle des Transplantationsgesetzes von 2012 verpflichtet, ihre Versicherten ab 16 Jahren regelmäßig über Organspenden zu informieren und sie aufzufordern, ihren Willen zu dokumentieren. Ob man einen Spendeausweis trägt und was in ihm vermerkt ist, wird aber an keiner Stelle registriert. Man kann seinen Entschluss also jederzeit ändern, muss dazu die alte Erklärung lediglich vernichten.
Dass so wenige Deutsche einen Spendeausweis haben, liegt laut Umfrage vielfach an der fehlenden Beschäftigung mit dem Thema. Wer ihn bewusst ablehnt, tut das auch aus Angst vor Schmerzen oder einer verfrühten Todesfeststellung. Tatsächlich regelt das Transplantationsgesetz streng, wann ein Organ entnommen werden darf. Zwei erfahrene, speziell qualifizierte Mediziner müssen unabhängig voneinander den Hirntod des Spenders feststellen.