Essen. Dass U10-Kinder alleine unterwegs sind, ist heutzutage geradezu verpönt. Aber dann passiert es - und sie verabreden sich alleine nach der Schule.

Falls Sie einer Generation angehören, die längst vor Erreichen eines zweistelligen Alters mit Kindern aus der Nachbarschaft durch die Viertel zog, die ihre gemeinsamen Abenteuer durch Büsche, Felder und Straßenzüge höchstens unterbrach, um für ein paar Pfennig Klümpchen vonne Bude zu besorgen, dann mag das jetzt befremdlich für Sie klingen: Völlig baff war meine Arbeitskollegin, als sie an einem der letzten richtigen Sommertage dieses Jahres von ihrem frischen Gymnasiasten und Neu-Smartphone-Besitzer angerufen wurde. Mitteilen wollte der ihr, dass er mit den anderen Jungs aus seiner neuen Klasse noch ein Eis essen geht, ganz selbstständig, mit dem eigenen Taschengeld. Sie reagierte, als sei der Junge per Blitzschlag erwachsen geworden.

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Und auch wir erreichten kurzerhand später einen ähnlichen Meilenstein: Unser Sohn rief nach der Schule tatsächlich an, um mitzuteilen, dass er noch im Jugendtreff bleiben will – er würde später alleine mit der Bahn nach Hause fahren.

Plötzlich kein Elterntaxi-Bereitschaftsdienst mehr

Lachen Sie uns nur aus. Wie gesagt: Sollten Sie Ihre Jugend erlebt haben, als der Anruf zu Hause maximal über die Telefonzelle möglich war, so dürften wir klingen wie feigherzige Helikopter-Eltern, die ihren Kindern nichts zutrauen. Dabei ist es doch heute die Norm: Es werden eher die Kinder schräg angeguckt und als vernachlässigt gebrandmarkt, die vor Erreichen des zehnten Lebensjahres alleine durch die City stiefeln.

Geschichten aus der Familienbande: WAZ-Kolumnist Gordon Wüllner-Adomako erzählt seit 2014 von seinem Leben als zweifacher Vater und Ehemann. 
Geschichten aus der Familienbande: WAZ-Kolumnist Gordon Wüllner-Adomako erzählt seit 2014 von seinem Leben als zweifacher Vater und Ehemann.  © Funke Grafik NRW | Catharina Maria Buchholz

Ja ja, die Zeiten haben sich eben geändert. Deswegen ist es ja so ein tolles Gefühl, wenn man plötzlich aus dem Elterntaxi-Bereitschaftsdienst entlassen wird, wenn man dem Kind ein paar Euro ins Portemonnaie packt, damit es sich damit selbst was Naschbares kaufen kann. Nur muss das Kind irgendwie noch so richtig verstehen, wie frei es jetzt wirklich ist.

Am Wochenende wird nämlich weiter erwartet, dass ich für entsprechende Bespaßung und Unterhaltung sorge, statt einfach mit der Straßenbahnlinie ins nächste Abenteuer zu fahren. Aber was soll man auch von den Kindern von heute erwarten, die ihre ersten zehn Lebensjahre mit übermäßiger Fürsorge überzogen wurden. Den Aufbruch müssen die erst mal lernen.