Dorsten/New York. Eine „außergewöhnliche Würdigung der Dorstener Ehrenbürgerin” Tisa von der Schulenburg, so nennt Kulturamtsleiter Klaus Schmidt den wahrscheinlich ersten großen Artikel der altehrwürdigen „New York Times”, in der auch Dorsten mehrmals und nachdrücklich erwähnt ist.

Von Kunst umgeben: Tisa von der Schulenburg im Garten ihres ersten Ehemannes, des Kunstsammlers Fritz Hess, mit einer Plastik von Maillol. Repro: Jo Kleine-Büning
Von Kunst umgeben: Tisa von der Schulenburg im Garten ihres ersten Ehemannes, des Kunstsammlers Fritz Hess, mit einer Plastik von Maillol. Repro: Jo Kleine-Büning © WAZ

Der hoch angesehene Kunstkritiker Michael Kimmelman schreibt in der Ausgabe vom 16. Juli ein ebenso kenntnisreiches wie prägnantes Porträt über die Großtante seiner deutschen Verlegerin: über Elisabeth Gräfin von der Schulenburg, den Dorstenern noch bekannter als Sr. Paula, Ordensfrau und Künstlerin der Arbeitswelt unter Tage.

Der heutige Jahrestag ist Anlass für die ausführliche Würdigung in der nach wie vor führenden liberalen Tageszeitung der USA: 65 Jahre nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler schreibt Michael Kimmelman, der Name Fritz-Dietlof von der Schulenburg sei auch in Deutschland nicht allzu bekannt. Doch: „Schulenburg war die treibende Kraft der Verschwörung,” so zitiert er die Historiker-Eminenz Hans Mommsen.

So ist's eigentlich ein Doppel-Porträt der beiden jüngsten Geschwister aus einer altpreußischen Familie „überzeugter Nazis”, wie Kimmelman schreibt – und wie Sr. Paula selbst in vielen Zeitzeugen-Gesprächen bestätigte. Ihr Lieblingsbruder wurde am Klavierdraht in Berlin-Plötzensee erhängt, ihre vier älteren Brüder starben als Offiziere in Hitlers Weltkrieg.

"Bodenständig, provokant und sehr mutig"

Prominenteste Quelle im pointiert geschriebenen Bericht des New Yorkers ist Richard von Weizsäcker, der als junger Offizier dem Potsdamer Infanterie-Regiment des Fritz-Dietlof von der Schulenburg angehörte. „Er war kein typischer Hochadel”, so zitiert Kimmelman den Alt-Bundespräsidenten: „Fritzi war bodenständig, provokant, und – meine Güte – sehr mutig.”

Ganz ähnlich beschreibt der Kunstkritiker die Qualitäten Tisa von der Schulenburgs und findet ein treffendes Bild für ihre Verfassung, als sie – vertrieben von ihren Mecklenburger Gütern – nach dem Krieg im zerbombten Ruhrgebiet eintraf und blieb, „weil die Verwüstung ihre innere Landschaft spiegelte”.

"Die Zeichnungen verwandeln bergleute in Halbgötter"

Michael Kimmelmann berichtete in der New York Times über die Dorstenerin Tisa von der Schulenburg.
Michael Kimmelmann berichtete in der New York Times über die Dorstenerin Tisa von der Schulenburg. © WAZ

Die von ihr selbst stets kritisch bewertete Kunst Sr. Paulas vergleicht der weltgewandte Michael Kimmelman – der jüngst ein Buch zum 100. Geburtstag des brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer veröffentlichte – mit dem Werk von Käthe Kollwitz und Otto Dix. „Die Zeichnungen der Gräfin verwandelten Bergleute in Halbgötter”, schreibt der Journalist und Kunsthistoriker. „Ihre Federzeichnungen von Juden verwandeln Tintenflecke in Tränen.”

Die Internet-Ausgabe der New York Times präsentiert dazu eine erlesene Fotostrecke, bei deren Zusammenstellung die Dorstener Tisa von der Schulenburg-Stiftung behilflich war. Das selbstkritische Amerika zeigt hier auch ein Blatt aus den Jahren des Vietnamkriegs, betitelt „Leucoplast”: Augen und Mund des Vietnamesen sind verklebt, der Kopf erscheint auf dem fleckig lavierten Blatt nach hinten gerissen.

Diese Zeitkritikerin nie kennengelernt zu haben, dürfte Michael Kimmelman bedauern. Er zitiert Tisas Großnichte: „Sie repräsentierte ein neues Deutschland.”