Neuenrade.
„Wenn Dich irgendwo ein Bürgermeister ansagt, weißt Du, Du bist in einem Kaff“, begrüßt Comedian Hennes Bender – nach den einleitenden Worten von Klaus Peter Sasse – das Publikum im ausverkauften Kulturschuppen Neuenrade. Und später beweist er Ortskenntnis, als er gegen ortsansässige Zuschauer stichelt: „Werdohl ist ja anne Lenne und Ihr nicht, das wisst Ihr schon, ne?“
Tatsächlich sind seine Fans weit gereist – aus Oberhausen, Köln und Bonn sind sie gekommen. Und eine Zuschauerin fuhr sogar aus Kierspe an. Diese Information konterte Bender mit der Frage: „Was ist denn da die nächste Stadt mit einer Postleitzahl?“ Und als er Rolf aus Garbeck auf die Bühne holt, spricht der selbsternannte „Hobbit auf Speed“ den Balver Ortsteil aus wie eine Mischung aus Nieser und Raucherhusten. Nein, beim Publikum einschleimen will der Bochumer sich nicht.
In der Tasche hat er sie dennoch gleich. Manch einer in den bestuhlten Reihen kommt kaum zum Atmen zwischen den Lachsalven, die der 1,62 Meter große Lockenkopf auf der Bühne da zu verantworten hat. Zwar probt der noch seine neue Show „KLEIN/LAUT“, muss sich auch immer wieder in seinen Notizen vergewissern, wo im Text er gerade eigentlich ist, doch als Rampensau wirst Du geboren – lernen lässt sich das nicht.
„Früher war ich einfach ein Spinner, heute bin ich ein Nerd“
Mit seinem David-Bowie-T-Shirt zur Kult-Platte „Heroes“ steht Bender vor seinen Fans, klammert sich ans Mikrofon und fuchtelt mit der freien Hand herum. Er spricht schnell, ja: hektisch – bekommt Schnappatmung. Und immer wieder versichert er sich beim Publikum, dass er die Stimmung nach wie vor hoch hält. Doch das gelingt ihm traumwandlerisch.
„Früher war ich einfach ein Spinner, heute bin ich ein Nerd“, kokettiert er mit dem Zeitgeist, der manches in Vergessenheit geraten lässt. Schon grübelt Bender: „Wisst Ihr noch früher, als es dieses Dings gab, wie heiß das noch?“, wendet er sich Hilfe suchend an die Zuschauer. Dann fällt es ihm ein: „Jahreszeiten“ sind es, die es heute gar nicht mehr gibt.
Der Comedian richtet sich die Brille. Plötzlich wird er für einen Moment ganz ernst – und spricht sich sehr deutlich gegen homophobe Gesetze in Frankreich und Russland aus. Schließlich sei Queen-Frontmann Freddie Mercury sein Lieblingssänger (gewesen). Dann zieht er aber auch das dahin, wo es hingehört – ins Lächerliche. „Komisch“, wundert er sich, „dabei heißen die in Russland doch alle schwul“. Bender spricht mit russischem Akzent und betont langsam: „Hallo, ich Sergej.“ Der Name klingt wie „sehr gay“ (gay ist das englische Wort für homosexuell).
Ein Kind der 70er- und 80er-Jahre
Überhaupt freue er sich, dass der Wahlkampf bald vorbei sei, wischt er das Thema Politik wieder weg: „Ich kann die ganzen Hackfressen einfach nicht mehr sehen.“ Die regten sich jetzt künstlich auf über die NSA-Affäre, „dabei hat Obama doch vorher schon gesagt ‘Yes, we can’“.
Bender ist ein Kind der 70er- und 80er-Jahre. Und auch wenn er nicht sagt, dass früher alles besser gewesen sei, ist klar, dass er so denkt. „Oder haben Sie früher Ihr Essen fotografiert, sind zu Photo Porst gegangen, haben den Film entwickeln lassen und das Bild von Ihrem Abendessen dann dem Nachbarn gezeigt? Und hat der dann gesagt: ‘Oh, gefällt mir’?“
Der Speed-Hobbit jongliert mit der deutschen Sprache. Viele Sätze lässt er unvollendet, verhaspelt sich scheinbar. So wirkt sein Programm, als würde es gerade eben erst entstehen. Dabei geht Bender sicher mit dem Wort um. Deshalb regt es ihn auch auf, wenn andere dumm daher reden. „Die Zeit heilt alle Wunden? Fragen Sie doch mal einen Beinamputierten“, regt er sich auf.
Ein Strip in der Zugabe
Und schon kommt er zur WDR-4-Band Unheilig: „Der Graf lässt ja Kalendersprüche los, so Durchhalte-Lyrik“, echauffiert sich der Comedian – und jeder merkt, dass es ihm wahrlich eine Herzensangelegenheit ist, sich von solch modernem Schlager zu distanzieren. Schon singt er in Manier des Grafen los – ein Lied das nur Phrasen aneinander kettet wie „Mein linker, linker Platz ist frei“ und „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“.
In der folgenden Pause hören die Neuenrader die eingedeutschte Version des Kiss-Songs „Unholy“ der Band Die Ärzte: „Unheilig“. Da ist Bender musikalisch mehr zuhause. Und unheilig geht es auch nach der Unterbrechung weiter. Der Bochumer stellt fest: „Jesus war ja der erste historisch verbürgte Zombie. Er hat ja drei Tage gelegen, bevor er wieder aufstand.“
Viele Effekte braucht Bender nicht. Im Bühnenhintergrund hängt ein schwarzer Vorhang, blau angestrahlt. Eine Disco-Kugel blitzt nur einmal kurz auf. Zwar strippt der Comedian in der Zugabe noch für das Publikum zu „You can leave your hat on“ von Joe Cocker. Doch das wäre gar nicht mehr nötig gewesen. Da lag ihm Neuenrade längst zu Füßen.