Unna. . Billigware aus dem Hochlohnland Deutschland – was wie ein Widerspruch klingt, gelingt in Unna. Dort fertigt die Drahtwarenfabrik von Christian Westebbe Kleiderbügel aus Draht. Doch auch hochwertigere Produkte „Made in Germany“ verlassen die Werkshallen.
Der billigste Bügel kostet bei Christian Westebbe um die drei Cent. Dafür gibt es echtes „Made in Germany“. Zuzüglich Mehrwertsteuer. Bereits in der dritten Generation wird die Drahtwarenfabrik am Obermassener Kirchweg jetzt von einem Westebbe geleitet.
Doch ist die Firma heute eine ganz andere als noch zu Zeiten Großvater Alberts. Der handelte vor allem mit Draht in schweren Rollen. Der Sohn und der Enkel jedoch haben sich auf Kleiderbügel, Sackverschlüsse und diverse Konfektionen von Baudraht verlegt, wie man ihn etwa, zum Rostschutz mit Kupfer überzogen, im Betonbau zum Eisenflechten braucht. Im Betrieb falten automatische Maschinen mit schier unglaublicher Geschwindigkeit die Drahtgebilde, verlöten sie und spucken sie bündelweise auf Fließbänder. Die Automaten, auf denen wie von Zauberhand zwischen schnell hin und her flitzenden Hebeln und Rollen Kleiderbügel entstehen, arbeiten kaum langsamer. Allerdings sind viele von ihnen etwas älter, ist die Einrichtung auf andere Produktmaße aufwendiger und zeitraubender, weshalb auf ihnen eher Standardprodukte entstehen wie – eben – die 3-Cent-Bügel.
Produktion ist für Chinesen zu teuer
Und die Chinesen? „Stellen Sie sich die Arbeitsgänge vor: Von der Maschine nehmen, in Kartons verpacken, in Container laden, verschiffen, Container ausladen, Logistik vor Ort“, sagt Christian Westebbe. „Das lohnt sich normalerweise nicht einmal für chinesische Exporteure, dafür ist der Personalkostenanteil zu klein.“ Ein Bombengeschäft ist die Massenware auch für Westebbe nicht, aber er zahlt auch nicht drauf und kann seine Leute auch bei Auftragsflauten beschäftigen. Unschlagbar billige Produkte aus dem Hochlohnland Deutschland, wer hätte das gedacht.
Drahtzieher sorgen für den richtigen Durchmesser
Im Jahr 1913 gründete Albert Westebbe seine Firma. Seitdem beschäftigt sie sich mit der Produktion und dem Vertrieb von Draht und Drahtwaren.
Für Kleiderbügel, Baudraht und Sackverschlüsse wird Eisendraht verwendet. Draht lässt sich allerdings auch aus Kupfer, Messing, Aluminium, Silber und Gold herstellen. In kleineren Mengen wird mittlerweile auch Magnesium zu Drähten für die Automobil- und Luftfahrtindustrie verarbeitet.
Man unterscheidet in der Herstellung von Draht Kaltziehen, Walzen und elektrolytische Behandlungen.
Bei der Herstellung ziehen Drahtzieher den früher durch Schmieden, heute durch Walzen entstandenen groben Draht kalt durch die sich verjüngende Öffnung eines Zieheisens. Er wird dabei länger und dünner. Man zieht ihn durch immer kleinere Öffnungen, bis er schließlich die gewünschte Abmessung hat.
Allerdings, schränkt der Chef ein, gab es schon Zeiten, da hat er manche Billigbügel nur gekauft und weiterverkauft: Das war zu Zeiten, als die chinesische Regierung die Produktion einiger Drahtprodukte subventionierte, um ausländische Märkte zu knacken. Westebbe als geschmeidiger Mittelständler hat die Zeit überlebt. „Aber in den USA gibt es keine einzige Drahtkleiderbügelfabrik mehr.“
China kann jederzeit gefährlich werden
Wann sich die Produktion in Unna lohnt, hängt von vielem ab: Wechselkurse zum Dollar oder zum chinesischen Yuan, Metallpreise, Frachtraten und so fort. Daher kann China im 08/15-Bereich auch jederzeit wieder gefährlich werden. Ansonsten aber fehlt die Flexibilität: „Wenn die als Mindestmenge einen 20-Fuß-Container beladen, müssen sie drei Monate vorher schon wissen, was genau in Europa gefragt sein wird.“
Über 3000 Artikel hat Westebbe im Angebot, Drahtprodukte vor allem, spezielle Werkzeuge für Anwender. „Das entwickeln wir gerade“, sagt er stolz und zeigt ein kompliziert gebogenes Stück Draht, das auf den ersten Blick ein Topfgriff aus der Campingküche sein könnte. Tatsächlich jedoch ist es eine Komponente für Pkw-Schneeketten, die ein Schweizer Hersteller in seinem Produkt verbaut. Gefertigt wird es in einer voll computerisierten dreidimensional biegenden Maschine, am Schluss auch noch spezialgehärtet. Und daran sieht man, dass Draht nicht gleich Draht ist.
Viele unterschiedliche Produkte
Grob kann man sicherlich die Bereiche „Bügel“ und „Baudraht“ unterscheiden. Und von Christian Westebbe lernen, dass Bügel beileibe nicht gleich Bügel ist. Spezialbügel beherrschen das Geschäft. Sie werden in Großwäschereien gebraucht, wo große Firmen wie beispielsweise Volkswagen allwöchentlich die Arbeitsbekleidung ihrer Mitarbeiter komplett waschen lassen. „Da ist kein Transportsystem wie das andere“, sagt Westebbe. Da müssen die Produkte immer wieder angepasst werden, damit es reibungslos läuft. Und für drei Cent, dies am Rande, bekommt man diese Bügel nicht.
60 Prozent Exportanteil
20 Menschen arbeiten in der Drahtwarenfabrik Albert Westebbe, sorgen für einen täglichen Materialumschlag von 30 Tonnen und fünf Millionen Jahresumsatz. 60 Prozent Exportanteil hat der Unnaer Drahtverformer im Moment, und Mitbewerber natürlich auch. Doch speziell dem Druck aus China kann er im Moment standhalten, „weil wir in einer Nische sitzen und ein breites Produktprogramm anbieten.“
Trotzdem: In der Unnaer Drahtbügelproduktion spiegelt sich die Weltkonjunktur mit all ihren Eigenarten und Absurditäten. Was wünscht sich vor diesem Hintergrund der Unternehmer? „Transporte sind viel zu billig“, findet Westebbe, „sie machen einen Sinn bei Handys und Fernsehern. Aber schweres Massengut sollte man besser regional produzieren.“ Der Trend scheint in diese Richtung zugehen: „Der China-Peak ist überschritten“, befindet Westebbe. Das große Land wird sein Wohlstandswachstum nicht nur aus Billigproduktionen bezahlen können.
Aktuell macht den Unternehmer die Eurokrise sorgen. „Was im ganzen letzten Jahr nach Spanien ging, verdeutlicht er, „lieferten wir 2007 in 14 Tagen. Das ist ein Volumen von gerade einmal noch drei bis vier Prozent.“ Und von Griechenland – aber auch England – schweigt man besser.
Dafür läuft Bau-Draht sehr gut. Bis auf Weiteres ist noch viel Leben in der Nische.