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Die angekündigte Großoffensive zur Sanierung von mehr als 100 Bahnhöfen in NRW steckt fest. Die Bahn spricht von Kapazitätsgründen, doch das ist wohl nur die halbe Wahrheit. Hinter den Kulissen tobt ein heftiger Streit zwischen Land und Bahn AG.
Millionen Bahnpendler in Nordrhein-Westfalen müssen sich gedulden. Die 2008 versprochene Großoffensive zur Sanierung von 108 Bahnhöfen steckt fest. Die Modernisierungen verzögern sich an vielen Stationen bisher um mindestens ein Jahr.
2010 sollte auf 64 Bahnhöfen Baustart sein. Tatsächlich wurden Arbeiten an gerade zehn Objekten begonnen.
Auf der Strecke bleiben zunächst Ausbesserungen von Bahnsteigen und Aufenthaltsräumen, neue Informationssysteme, Beleuchtungen und behindertenfreundliche Installationen. Insgesamt sollten nach dem Rahmenvertrag zwischen Bahn und Land von 2008 407 Millionen Euro eingesetzt werden, von denen 120 Millionen aus der Landeskasse stammen. Das Geld muss bis spätestens Ende 2013 ausgegeben sein.
Die Bahn räumt den Rückstand ein: „Wir liegen hinter dem Plan zurück“, sagte ein Unternehmenssprecher in Berlin. Dies habe ausschließlich Kapazitätsgründe: Ingenieure und Baufirmen sind ausgelastet, weil zuerst das Geld verbaut werden soll, das der Bund aus den Konjunkturprogrammen zur Verfügung stellt. Davon profitiere auch NRW mit rund 40 Millionen Euro.
Hinter den Kulissen tobt ein heftiger Streit zwischen Land und Bahn
Doch das ist wohl nur die halbe Wahrheit. Hinter den Kulissen tobt ein heftiger Streit zwischen Land und Bahn AG. Letztere soll derzeit versuchen, den Vertrag von 2008 zu ihren Gunsten in seiner finanziellen Grundlage zu ändern. Beim Land ist man erbost.
Rückblende: Am 12. Dezember 2008 trafen sich in der NRW-Staatskanzlei drei hochrangige Namen: Jürgen Rüttgers, CDU, Ministerpräsident. Wolfgang Tiefensee, SPD, Bundesverkehrsminister. Und schließlich Hartmut Mehdorn, Deutschlands mächtiger Bahnchef. Feierlich unterzeichneten sie den „Masterplan Nordrhein-Westfalen“: Der Rhein-Ruhr-Express werde kommen. Die Strecke Münster-Lünen werde zweigleisig ausgebaut. Und mehr als 100 Bahnhöfe würden an Rhein und Ruhr saniert. Gesamtkosten: 407 Millionen Euro. Rüttgers: „Ich hoffe, dass viele Investitionen schnell begonnen werden können“
Rüttgers Hoffung blieb ein bloßer Wunsch. Zweieinhalb Jahre danach sind die drei VIP’s nicht mehr im Amt. Fast alles, was das Trio vereinbarte, steht auf der Kippe. Der Rhein-Ruhr-Express, die superschnelle S-Bahn zwischen Dortmund und Düsseldorf, ist lediglich Planpapier und völlig unterfinanziert. Der Ausbau Münster-Lünen ist wirtschaftlich hoch umstritten. Ob er überhaupt kommt, ist offen. Und dass die Bahnhofssanierungen fest stecken, könnte der Punkt sein, der den Pendlern an Rhein und Ruhr besonders weh tut.
Fast alle Landesteile betroffen
Von den Verzögerung betroffen sind fast alle Landesteile. In Westfalen die Stationen Hagen, Olpe, Menden, Paderborn-Nord, Sennelager, Sennestadt, Holzwickede, Wickede (Ruhr). Im Ruhrgebiet Dortmund mit dem Vorortbahnhof Aplerbeck, im mittleren und westlichen Revier die Hauptbahnhöfe Oberhausen, Wanne-Eickel und Herne und Vorortstationen wie Essen-Stadtwald. Lange auf bessere Bahnhöfe warten müssen vor allem die Pendler der Region der Landeshauptstadt. Rund um Düsseldorf verschiebt sich nicht nur der Sanierungsstart in zwei Krefelder Bahnhöfen, Neuss und Ratingen-Ost, sondern alleine in dreizehn Stationen der Düsseldorfer Stadtteile: In Wehrhahn, Zoo, Benrath, Bilk, Derendorf, Eller, Eller-Süd, Hamm, Hellerhof, Oberbilk, in den beiden Rather Stationen und in Reisholz.
Tatsächlich gibt es auch Bahnhöfe, deren Umbau vor der Zeit oder pünktlich angegangen wurde. Schwerte gehört dazu. Generell spricht die Landesregierung aber von Defiziten in 2010 und 2011. „Gründe dafür sind, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses der Rahmenvereinbarung nicht absehbar war, dass – neben dem niedrigen Planungsstand der Maßnahmen – die planenden Ingenieurbüros durch das im Jahr 2009 angelaufene Konjunkturprogramm des Bundes für kleine und mittlere Bahnhöfe erheblich ausgelastet sein würden“, heißt es in einem Bericht des NRW-Verkehrsministers an den Verkehrsausschuss des Landtags von Ende Januar. So weit der Grund, den beide Vertragspartner unisono angeben.
Inzwischen ist möglicherweise ein zweiter dazugekommen. Die Bahn zieht nicht nur die Projekte aus dem Konjunkturprogramm des Bundes vor - wovon einige kleinere Maßnahmen auch NRW betreffen, insgesamt immerhin Investitionen von 40 Millionen Euro. Sie versucht auch die Finanzierungsgrundlage des Vertrags mit der schwarz-gelben Landesregierung zu verändern. Nach Informationen der WAZ-Mediengruppe möchte sie ihren Anteil – 270 Millionen Euro aus der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung mit dem Bund – als „Stationsentgelte“ anrechnen dürfen. Passiert das, werden das Land und die betroffenen Verkehrsverbünde, hauptsächlich der VRR, am Ende deutlich stärker belastet als in dem Rüttgers-Mehdorn-Tiefensee-Kontrakt von 2008 festgelegt.
Die Folge: Das ganze Vorhaben, 108 Bahnhöfe modern mit neuen Bahnsteigen und Info-Systemen, besseren Behinderteneinrichtungen und neuer Beleuchtung auszustatten, hängt in der Luft.
NRW-Verkehrsstaatssekretär Horst Becker (Grüne) verlangt jetzt: „Wir brauchen Klarheit“. Beim Land gebe es den Eindruck, die Bahn wolle selbst hinter erst vor wenigen Wochen gemachte Zusagen zurück. Becker kündigte an, Land, Bahn und Verkehrsverbünde wollten Mitte Mai über Auswege aus der verfahrenen Lage beraten.