Einen juxigen Ossi-Tag wollte Wirtin Kerstin Jakob in der Torschänke veranstalten. Daraus wurde ein Großprojekt: Pünktlich zum Altstadtfest soll eine Ostalgie-Ausstellung mit (bislang) über 700 Exponaten eröffnet werden.

Gruppenbild mit Dame: Kerstin Jakob mit Porträts der DDR-Staatschef Erich Honnecker und Walter Ulbricht. Fotos: WAZ, Lutz von Staegmann
Gruppenbild mit Dame: Kerstin Jakob mit Porträts der DDR-Staatschef Erich Honnecker und Walter Ulbricht. Fotos: WAZ, Lutz von Staegmann © WAZ

Ein Jux sollte es werden. Ein Ossi-Spaß. Ein Ostalgie-Tag in der traditionsreichen Pinte „Torschänke” in der Recklinghäuser Straße. Am 12. Juni. In der DDR war das der „Tag des Lehrers”. Die Deutsche Demokratische Republik als Staat hat sich vor bald zwanzig Jahren in Luft aufgelöst, ebenso der Traum von Kerstin Jakob, Lehrerin zu werden. Stattdessen wurde die resolute und lebenslustige Magdeburgerin Wirtin der Dorstener Schänke. Und der Ossi-Spaß ist mittlerweile zum Großprojekt für die kleine Kneipe gewachsen: Eine Ausstellung, die das Lebensgefühl Ost lebendig werden lässt. Die Eröffnung ist zum Start des Altstadtfestes (5. Juni) geplant, Höhepunkt soll der Ossi-Tag am 12. Juni werden.

Das Leben von Kerstin Jakob teilt sich in eine Hälfte Ost und eine Hälfte West. Die Jugend drüben war nicht schlecht. „Ich brauchte keine zwanzig Sorten Wurst”, sagt sie. Und dass es Tomaten nur gab, wenn Tomaten üblicherweise reif sind und nicht jederzeit im Supermarkt – das findet sie bis heute in Ordnung: „Ich vermisse das Gefühl, jetzt ist Tomatenzeit.”

Sie wuchs durchaus bevorzugt auf. Der Vater Maschinenbau-Ingenieur, die Mutter Leiterin eines Altenheims. Vier Jahre lebte die Familie in Moskau. Der Vater schulte russische Arbeiter an Drehmaschinen. Der Vater will zur Ausstellung kommen und Gästen erzählen, wie das war in der DDR und was ein VEB ist oder ein ABV.

Dass die Demokratie West und die Diktatur Ost unterschiedliche Staaten waren, das soll gar nicht im Mittelpunkt der Schau stehen. Dass die Menschen ihren Alltag anders gelebt haben, will Kerstin Jakob zeigen. An die 700 Exponate hat sie mittlerweile zusammen, im Internet ersteigert, bei Verwandten und Bekannten in der alten Heimat ergattert, von Ossis im Westen als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Ein Spielzeugdackel aus Plastik („den hatte jedes Kind”) ist darunter, ein Schwarzweiß-Fernseher aus dem Osten, eine alte Registrierkasse mit Handkurbel aus dem Konsum („da fielen noch Ost-Pfennige raus”), Dederon-Blümchenkittel, Lurexkleid, Club-Cola (die gibt's noch), Karo-Zigaretten (gibt's auch noch) oder „Pfeffin”-Pfefferminzlikör („schmeckt wie Odol mit Alkohol”). Natürlich hat sie auch ein paar Amtsstubenbilder der DDR-Gewaltigen Honnecker, Ulbricht, Stoph in der Schau.

Kerstin Jakob hatte mit der DDR als Staat wenig am Hut. „Ich war immer 'n bisschen contra. Das Parteizeug hat mich nie interessiert”, erzählt sie. Das System hat sie dennoch betroffen: Kerstin Jakob weigerte sich, in die Staatspartei SED einzutreten und fiel „mit Pauken und Trompeten durch die Marxismus-Leninismus-Prüfung”. Das Lehramtsstudium war damit vorbei. Stattdessen wurde sie Erzieherin. Und verlor nach der Wende den Job – weil es keine Krippen mehr gab.

Ihr erster Ausflug nach Grenzöffnung blieb im Stau stecken. Am 10. November '89 wollte sie mit einer Freundin 'rüber, mal gucken. Sie brauchten drei Stunden, um nur aus Magdeburg 'rauszukommen. Nach sieben Stunden auf der Autobahn hatten sie zehn Kilometer geschafft und drehten auf dem Grünstreifen um.

Heute lebt sie im Westen, ist mit einem Wessi verheiratet, hat eine Tochter „Ost” (23), ein „West”-Kind (15) aus der ersten Ehe ihres Mannes sowie zwei gemeinsame „Ost-West”-Kinder. Deutsche Einheit ist eben nicht nur Politik, sondern auch Familiensache.

Die Ausstellung ab 5. Juni soll im Hinterstübchen der Torschänke einen Konsum (sozusagen der Tante-Emma-Laden der DDR) und eine typische Wohnstube zeigen. Das Thema beherrscht seit Wochen den Thresen. Kerstin Jakob lacht: „Hier wird nicht mehr über Krankheiten geredet, hier werden plötzlich Geschichten erzählt. Das sind wunderschöne Abende hier . . .”

Die Ostalgie-Schau wird am 5. Juni eröffnet und ist bis 12. Juni täglich ab 9 Uhr zu sehen. In der Woche gibt's Ost-Bier (Radeberger und Köstritzer) vom Faß. Am Ossi-Tag (12. Juni) serviert Kerstin Jakob Buletten und Soljanka (die DDR-Suppe schlechthin). Viele Exponate der Schau werden nach Schluss der Aktion in einer Tombola verlost. Lose gibt es in der Gaststätte für einen Euro. Wer noch außergewöhnliche DDR-Objekte als Leihgabe zur Verfügung stellen oder mehr möchte: 0174 / 88 99 299.