Essen. Sport in NRW ist nicht nur Fußball. Was sich in 70 Jahren getan hat, zeigt der große Sport-Rückblick: von Turnen über Tennis bis Radfahren.

Natürlich denken wir in Nordrhein-Westfalen beim Sport an den Fußball, nirgends sonst in Deutschland gibt es mit dem FC Schalke 04 und Borussia Dortmund, mit dem 1. FC Köln und Borussia Mönchengladbach, mit dem MSV Duisburg und VfL Bochum, mit Rot-Weiß Oberhausen und Rot-Weiß Essen so viele Traditionsvereine. Und doch hat der Sport in Nordrhein-Westfalen viel mehr zu bieten; von Handball über Leichtathletik und den Reitsport. Die Sport-Highlights in NRW – eine Auswahl; von Daten wie Spielen. Und von Veranstaltungen, die hier so schnell niemand vergisst.

1947

„Neues Leben blüht aus Ruinen“, dass dies zwei Jahre nach Kriegsende nicht nur ein frommer Spruch ist, dafür sorgt auch der Fußball in NRW. 1947 nimmt die später legendäre Oberliga West ihren offiziellen Spielbetrieb auf. Es sind bizarre Szenerien auf den weitgehend kaputten Sportplätzen. Doch dass überhaupt wieder gespielt wird, gibt den Menschen ein Stück Hoffnung und Normalität zurück. Es waren noch nicht einmal Straßenbahn-Spiele, die Leute liefen zu Fuß von Essen nach Duisburg, von Bochum nach Herne, um die Begegnungen zu verfolgen. In den Trümmerlandschaften in NRW gab es wieder andere Themen als allein jene des täglichen Überlebenskampfes.

4. Juli 1954

An einer Brücke der A 40 in Essen prangt unübersehbar jenes kleine Zitat aus der Rundfunk-Reportage von Heribert Zimmermann vom WM-Endspiel 1954 in Bern: „Rahn müsste schießen…!“ Und jeder weiß, was es damit auf sich hat. Der Essener Junge Helmut Rahn schießt Deutschland zum sensationellen WM-Sieg. Für manche ist dieser 4. Juli 1954 der eigentliche Beginn der jungen Bundesrepublik, der Start in eine neue nationale Identität nach dem Kriegs- und Nazi-Horror. Auch wenn mit den Jahren vieles überhöht wurde: Dass Rahn schoss (und traf) ist eingemeißelt in die Geschichte der Republik. Aus NRW gehören auch Toni Turek und Hans Schäfer zu den Helden von Bern.

1955, 1956, 1957, 1958

„Dein Grubengold hat uns wieder hochgeholt“, so besingt Herbert Grönemeyer in seiner „Bochum“-Hymne den Anteil der Kohle&Stahl-Region NRW am Wirtschafts-Aufschwung in den 50er Jahren. Und auch der Fußball spiegelt in dieser Zeit die Bedeutung der Zechen und Hochöfen im Revier. Von 1955 bis 1958 kommt der Deutsche Meister vier Mal hintereinander “tief aus dem Westen“. Dortmund, RW Essen und Schalke 04 tragen mit ihrer verbindenden Kraft aber auch nicht wenig dazu bei, dass die Millionen aus dem Osten zugezogenen neuen Bürger in NRW nicht nur Arbeit, sondern auch eine Heimat finden. Wer heute die Gründe für die besondere Zuneigung der Leute zu den Ruhrgebietsvereinen sucht, wird in diesen Jahren fündig.

Juli 1963

Es ist das bis dahin größte Sportereignis in NRW. Das deutsche Turnfest lockt 1963 mehr als 40.000 Teilnehmer nach Essen. Der Festzug durch die Innenstadt mündet in einer Abschluss-Kundgebung, der 110.000 Menschen beiwohnen. Nach der Vergabe des Events 1959 hat sich die Ruhrmetropole richtig herausgeputzt, den Stadtteil Rüttenscheid regelrecht umgekrempelt. So entstehen das Grugabad, die Festwiese, eine Mehrzweckhalle und das Grugastadion. Das Motto des dritten Turnfests nach dem Krieg „Kommt, macht alle mit!“ gilt heute als Entstehung der „Jedermann Sportbewegung“.

24. August 1963

Kapitän Hans Schäfer vom 1. FC Köln (l) jubelt mit der Meisterschale über den Gewinn der Deutschen Fußball-Meisterschaft beim Empfang in der Kölner Innenstadt.
Kapitän Hans Schäfer vom 1. FC Köln (l) jubelt mit der Meisterschale über den Gewinn der Deutschen Fußball-Meisterschaft beim Empfang in der Kölner Innenstadt. © dpa

Als die Delegiertenversammlung des DFB am 28. Juli 1962 um 17.14 Uhr die Einführung einer Bundesliga beschlossen hat, ahnt wohl niemand der Anwesenden, welche Dynamik diese endgültige Hinwendung zum Profifußball entfalten wird. Etwas mehr als ein Jahr später startet dann der deutsche Fußball mit dem ersten Spieltag in das Abenteuer Bundesliga. In der ersten Saison stammen von 16 Klubs fünf aus NRW. Dortmund, Schalke, Duisburg, Köln und Münster können eine der begehrten Startberechtigungen ergattern. Köln wird erster Meister, der Meidericher SV Sensations-Zweiter. Preußen Münster muss absteigen und kehrt nie wieder zurück.

1966

Der 5. Mai 1966 ist ein trister Regentag in Glasgow. Doch für die Dortmunder Borussia scheint die Helden-Sonne. Durch einen 2:1-Sieg im Finale des Europapokals der Pokalsieger kann erstmalig eine deutsche Mannschaft eine kontinentale Trophäe gewinnen. Reinhard „Stan“ Libuda wird mit seinem Siegtor quasi unsterblich. Und die Begeisterung darüber kennt in der Heimat keine Grenzen. Vom Flughafen Köln-Wahn bis nach Dortmund ruht der Verkehr, als die Mannschaft in offenen Wagen zurück in die Bierstadt fährt. Ewigen Ruhms gewiss, warten Ehrungen, Empfänge und das silberne Lorbeerblatt, verliehen durch den Kanzler Erhardt persönlich, auf sie.

1971

Auf Büchsen wirft man auf der Cranger Kirmes. Doch den bekanntesten Büchsenwurf gibt es auf dem Gladbacher Bökelberg. Da spielen die Fohlen im Achtelfinale des Europapokals an jenem denkwürdigen Abend des 20. Oktober Inter Mailand schwindlig. Gewinnen am Ende mit 7:1. Doch die Italiener wissen sich zu helfen. Weil eine leere Limo-Büchse Stürmer Roberto Boninsegna trifft, lässt der sich mit der Bahre theatralisch abtransportieren, das Spiel wird anulliert, Gladbach scheidet aus. TV-Aufnahmen, die den Betrug entlarven könnten, gibt es nicht. Heute kann man die Büchse im Borussia-Museum bewundern.

1974, 2006

Die Fußball-Weltmeisterschaften im eigenen Land 1974 und 2006 bescheren auch NRW unvergessliche Momente. Und eine ganze Reihe hochmoderner, teils renovierter, teils neu gebauter Stadien. 1974 sind bei insgesamt 14 Turnierspielen in Gelsenkirchen, Dortmund und Düsseldorf 662.000 Fans in den Arenen live dabei. Getoppt wird alles noch 32 Jahre später. Bei der „Sommermärchen“-WM werden 16 Spiele in NRW ausgetragen. Die Partien in Dortmund, Gelsenkirchen und Köln verfolgen 872.000 Menschen in den Stadien.

1983

Auf der Regattabahn in Duisburg-Wedau finden im September die Ruder-Weltmeisterschaften statt. In insgesamt 18 Bootsklassen werden die Titelträger ermittelt. Nach dem Ende der Veranstaltung findet sich im Medaillenspiegel die DDR ganz vorne wieder mit insgesamt sieben Gold-Plaketten. Die bundesrepublikanische Flagge hält im Einer Peter-Michael Kolbe hoch. Gold gewinnen auch der Vierer und der Doppelvierer.

1984

Ab Mitte der achtziger Jahre arbeitet man in der Region Ruhrgebiet sehr ambitioniert an einer Bewerbung für die Ausrichtung der Olympischen Spiele im Jahr 2000. Auf Bitte des NOK wird diese aber zugunsten Berlins zurückgezogen, das am Ende aber keine Chance hat. Ab 1996 startet der zweite Versuch, diesmal in einer Kooperation mit dem Rheinland unter der Bezeichnung „Düsseldorf und das Ruhrgebiet“. Es gibt gute Argumente für die Spiele in NRW im Jahre 2012. Doch macht national am Ende Leipzig das Rennen, das dann aber klar London unterliegt. Der Traum von der Olympiade in der Sportregion Rhein/Ruhr wird schwerlich in Erfüllung gehen.

1986

Es ist ein wahres Handball-Märchen, das Tusem Essen Mitte der achtziger Jahre zu schreiben beginnt. Jeweils drei nationale Titel- und Pokalgewinne feiern Frank Arens, Jochen Fraatz, Thomas Happe und Co. ab 1986 mit ihren Fans in der bei den Spielen meist ausverkauften Grugahalle. Und die Margarethenhöhe kennen durch die Tusem-Erfolge bundesweit nicht nur die Handballfans. Höhepunkt der Erfolgsgeschichte ist 1989 der Gewinn von Meisterschaft und Europapokal. Mitte der neunziger Jahre sinkt der Stern der Essener. Nach einer Insolvenz dümpeln sie derzeit im Mittelfeld der zweiten Liga. Doch die Glanzjahre bleiben unvergessen.

1995/1996

Noch nie in der Geschichte der Fußball-Bundesliga hat bis dahin eine Mannschaft aus dem Revier die Meisterschaft gewonnen. Zwar schlägt das Herz des Fußballs hier, aber die Trophäen wandern in den Norden oder Süden. 1995 bricht der BVB den Bann. Mit einem Star-Ensemble - mit viel Geld wurden Italien-Legionäre zur Rückkehr in die Bundesliga bewogen – gelingt der ganz große Wurf. Aber zum Schluss muss es der „Baby-Sturm“ aus Lars Ricken und Ibrahim Tanko richten, um nach einer Verletzungsmisere die restlichen Punkte für die ersehnte Schale zu gewinnen. Und weil es so schön war, gelingt ein Jahr später auch noch die Titelverteidigung.

1997

Im Mai 1997 thront das Ruhrgebiet auf dem europäischen Fußball-Olymp. Borussia Dortmund gewinnt mit einem 3:1 über Juventus Turin im Münchener Olympiastadion die Champions League. Irgendwie noch grandioser ist eine Woche zuvor Schalke 04 mit einer Elf der Namenlosen, die als „Euro-Fighter“ Eingang in die Fußball-Geschichtsbücher gefunden hat, durch einen Sieg im Hexenkessel von San Siro gegen Inter Mailand UEFA-Cup-Sieger geworden. Beide Trophäen des europäischen Vereinsfußball stehen ein Jahr in den Vitrinen von BVB und S04. Und weil auch der VfL Bochum sich für Europa qualifiziert, skandieren die Revier-Fans in nie gekannter Eintracht „Ruhrpott“ auf den Rängen.

1998

Das Sparkassen-Giro startet in Bochum. Bis heute ist das spektakuläre Straßenrennen durch die Bochumer Innenstadt eine feste Einrichtung für Fans und Stars des Radsports. Der kurvenreiche Parcours ist 14,6 km lang und muss zwölfmal befahren werden. Das Zuschauerinteresse an der Strecke ist jedes Jahr überwältigend und einem Volksfest ähnlich. Dazu gibt es Frauen-, Steher- und ein Jedermannrennen im Angebot. Der Termin ist festgelegt auf das zweite Wochenende nach dem Ende der Tour de France. Erster Sieger in diesem Jahr 1998 ist Jan Ullrich.

2001

Am 13. April 2001 eröffnet Schalke 04 auf dem Bergerfeld in Gelsenkirchen sein neues Stadion – die Veltins-Arena. Es ist der Beginn einer einzigartigen Erfolgsgeschichte. Die immer noch futuristisch anmutende Multifunktionsarena zieht bisher mehr als 30 Millionen Menschen in ihren Bann. Und das nicht nur bei den 481 stattgefundenen Fußballspielen. Das Wohnzimmer der Schalke-Fans ermöglicht auch den Eishockey-Freunden mit 77.800 Besuchern bei einem Spiel einen neuen Zuschauer-Weltrekord. Seit 2002 gehört um die Weihnachtszeit ein Biathlon-Wettbewerb der Extraklasse zur festen Institution des Arena-Jahreskalenders.

2002, 2005, 2012

Das kleine Bochum-Wattenscheid gehört in der deutschen Leichtathletik-Szene zu den ganz großen Standorten. Immer wieder starten von der TV Wattenscheid Sportler eine internationale Karriere. Und das Lohrheide-Stadion eignet sich vorzüglich zur Durchführung von großen Leichtathletik-Meetings. So finden die Deutschen Meisterschaften gleich dreimal in den letzten 15 Jahren in Wattenscheid statt. Zuletzt 2012 als letzten Test vor den Olympischen Spielen in London, den viele der absoluten Topstars auch wahrnehmen. 30.000 Zuschauer sorgen an den zwei Tagen teilweise für Gänsehaut-Stimmung.

14. – 24. Juli 2005

Es ist vielleicht nur ein Trost für das vergebliche Bemühen um eine Olympia-Ausrichtung, doch mit den World-Games weht schon mehr als nur ein Hauch von internationalem Sport durch NRW. Gemeinsam mit den Partnerstädten Oberhausen, Mülheim und Bottrop veranstaltet Duisburg diese Welt-Fete der nicht-olympischen Sportarten. 3.000 Athleten nehmen teil, messen sich in insgesamt 40 verschiedenen Sportarten. Fallschirmspringen, Kanu-Polo, Tauziehen oder Orientierungslauf finden so auch mal eine interessierte und begeisterte Öffentlichkeit. Russland heimst am Ende mit 27 Siegen die meisten Medaillen ein.

2006

Seit 1924 befindet sich einmal jährlich über eine runde Woche das Mekka aller Pferdefreunde auf der Welt in Aachen. Und so wurde das CHIO – bestehend aus Springreiten, Dressur und Fahren – 1992 folgerichtig in „Weltfest des Pferdesports“ umbenannt. 2006 finden in diesem Rahmen die Weltreiterspiele statt, verbunden mit einer Nationen- und Einzelwertung. Ein Jahr später wird das ohnehin schon umfangreiche Programm um Vielseitigkeitsreiten und Voltigieren ergänzt, was eine Ausweitung der Veranstaltung auf insgesamt zehn Tage erforderlich macht.

2009

Hätte der Sport in NRW ein Dach über dem Kopf, dann wäre es das der Dortmunder Westfalenhalle. Der am 28.11.1925 eröffnete Event-Tempel gibt allen möglichen Sportarten eine Heimstatt. Leichtathletik, Reiten oder Eiskunstlaufen feiern hier rauschende Fest. Sechstage-Radrennen oder Boxkämpfe sind ebenso legendär wie die Europacupspiele des VfL Gummersbach. Etliche Dutzend Weltmeisterschaften in Sportarten wie Eishockey, Tischtennis, Tanzen oder Taekwondo finden hier ideale Bedingungen. Und stets ein dankbares Publikum. Auf über 15.000 Besucher wird das Fassungsvermögen 2012 erweitert. Mehr als 1,5 Mio Besucher verzeichnet die Halle pro Jahr. 2009 wird der 100millionste Besucher seit dem Wiederaufbau 1952 begrüsst.

2012

Eine 35-jährige Tradition geht zu Ende. Im Düsseldorfer Rochusklub findet der letzte „world-team-cup“ statt, die inoffizielle Mannschafts-WM im Tennis und ein von der Spielergewerkschaft bevorzugter Gegenentwurf zum Davis-Cup. 1978 als Nations Cup ins Leben gerufen, bietet das Düsseldorfer Turnier lange Jahre hochklassiges und gehört zu den wichtigsten Terminen der weltweiten Tennis-Szene. Alle großen Stars stehen hier auf den Platz, nutzen den Rochusclub als Formüberprüfung vor den French open. Die TV-Rechte werden an 190 Länder verkauft, das WCT-Turnier gehört zu den größten Werbeträgern der Sportstadt Düsseldorf.

Und es wird weitergehen mit den Sport-Highlights in NRW:

Juli 2017

Die Tour de France startet mit einem Einzelzeitfahren über insgesamt 13 km in Düsseldorf. Start ist am Messe-Gelände, danach geht es entlang des Rheinufers mit zweimaliger Überquerung des Flusses auf die Kö Richtung Altstadt und zurück zur Messe. Für den deutschen Zeitfahr-Spezialisten Tony Martin gewiss ein Grund, die Start-Etappe fest ins Visier zu nehmen. Bietet sich ihm doch die einmalige Chance auf die Übernahme des Gelben Trikots vor heimischem Publikum.