Marseille. DFB-Präsident Reinhard Grindel setzt auch mit Blick auf die Weltmeisterschaft 2018 in Russland auf Bundestrainer Joachim Löw. Doch der hat seine Zukunft nach dem verlorenen EM-Halbfinale offen gelassen. Die Mannschaft ist intakt.
Eine schwarze Sonnenbrille trug Joachim Löw auf der Nase, als er am Freitagmorgen das Teamhotel der deutschen Nationalmannschaft in Marseille verließ und damit endgültig die Turnierbühne in Frankreich. Um den Hals hing dem Bundestrainer eine silberne Kette mit einem Kreuz. Ein Freund hatte sie angefertigt. Sie sollte ein Talisman sein. Aber Löw musste feststellen, dass die Silberkette ihren Job nicht besonders gut erledigt hat.
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„Es hat uns am Ende einfach das Glück gefehlt“, hatte Löw am Abend zuvor gesagt. Das war für den 56-Jährigen die große Überschrift über einem Halbfinal-Aus gegen den Gastgeber Frankreich (0:2) im Stade Velodrome, von dem Löw glaubt, dass es nur über seine Mannschaft gekommen sei, weil sich gleich mehrere Götter gegen sie verschworen hatten. „So ist das manchmal im Fußball. Dann kommen viele Dinge zusammen, die nicht positiv sind: einige Ausfälle, zu viele vergebene Chancen“, sagte der Bundestrainer.
Kompliment für die Spieler
Und dann war da ja auch noch das Handspiel von Bastian Schweinsteiger im Strafraum, das ein bis dahin dominantes deutsches Auftreten völlig umkehrte. Was trotz 68 Prozent Ballbesitz schiefgelaufen sei, sollte Löw beantworten. Seine klare Meinung: „Es ist relativ wenig schiefgelaufen. Ich kann der Mannschaft nur ein Riesenkompliment machen, weil sie die bessere war.“
Auch bei der EM 2012 hatte das Team einen Halbfinal-K.o. erlebt. Beim 1:2 gegen Italien hatte sich Löw taktisch verkalkuliert. Damals war lange unklar, ob er überhaupt Bundestrainer bleiben könne. Diesmal, vier Jahre und einen WM-Titel später, sitzt Löw fest im Sattel.
Auf seine Zukunft angesprochen, sagte Löw direkt nach dem Spiel: „Heute Abend kann ich nicht weit vorausgucken, nicht einmal bis morgen früh. Da sitzt der Stachel doch noch tief. Das ist keinen Gedanken wert heute Abend.“ Das bot zwar Spielfläche für Spekulationen. Dass er weitermacht, daran gibt es beim DFB aber keinen Zweifel: „Joachim Löw wird das Turnier in Ruhe analysieren. Er ist der Weltmeistertrainer und wird mit Sicherheit den Titel verteidigen wollen. Ich will den Weg mit ihm weitergehen“, sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel, der Löw zu EM-Beginn im Gespräch mit dieser Zeitung sogar eine Vertragsverlängerung angeboten hatte. Löws Kontrakt läuft bis nach der WM 2018 in Russland. Dieses Turnier war stets das Ziel für ihn.
Das emotionale Binnenklima nach dem Ausscheiden aus der EM ist heute ein völlig anderes als vor vier Jahren: „Als wir 2012 und auch 2010 (0:1 im WM-Halbfinale gegen Spanien; Anm. d. Red.) ausgeschieden sind, hatten uns die Gegner etwas voraus. Heute hatten wir sicherlich Frankreich etwas voraus – außer den Toren“, sagte Löw. Ob er Minimalzweifel habe, dass Löw weitermache, wurde Thomas Müller gefragt. „Nein, die habe ich nicht“, sagte der Angreifer. „Das ist eine der unfairsten Fragen, die man jetzt stellen kann.“ An Müller lässt sich das Abschneiden in Frankreich erklären: Es gibt kaum Angreifer auf der Welt, die über mehr Qualität verfügen als der Münchener. Aber bei der EM blieb er glück- und torlos.
Vielversprechender Ausblick
Für Löw gibt es trotz des Ausscheidens auch gute Nachrichten: Seine Mannschaft hat sich nach dem WM-Titel 2014 taktisch weiterentwickelt. Das bewies die funktionierende Dreierkette im Viertelfinale gegen Italien. Zudem wird Löw ab dem 31. August, wenn in Mönchengladbach das erste Länderspiel nach der EM gegen Finnland ansteht, weiter mit ihr an den Defiziten arbeiten können. Denn es wird keinen großen personellen Umbruch geben. Die Achse um Neuer (30), Müller (26), Jerome Boateng (27), Mats Hummels (27), Mesut Özil (27) und Toni Kroos (26) wird auch 2018 noch auf hohem Niveau spielen können. „Wir haben gesehen, dass wir definitiv zu den Besten der Welt gehören. Daran wird sich hoffentlich in den kommenden Jahren nichts ändern“, sagte Hummels.
Der Verteidiger, der gegen Frankreich gesperrt fehlte, trug ein Buch, als er das Stadion in Marseille verließ: „Kings of Cool“ von Don Winslow. Nach dem Halbfinal-Aus gibt es keinen Grund für den deutschen Fußball, cool so zu tun, als wäre gar nichts passiert. Aber es gibt auch keinen, in Panik zu verfallen.