Lille/Évian-les-Bains. Das erste Länderspieltor des Innenverteidigers Shkodran Mustafi bereitete den Weg für den geglückten Auftaktsieg der DFB-Elf. Gegen Polen muss der frühere Hamburger wohl dennoch Platz machen für Mats Hummels.
Es ist bereits kurz vor Mitternacht, als zwei DFB-Mitarbeiter zur Eile mahnen. „Musti, wir müssen jetzt wirklich los“, sagt der eine, der andere zieht Shkodran Mustafi freundlich, aber bestimmt am Ärmel in Richtung Ausgang. „Tut mir Leid“, sagt der mehrfach Ermahnte und verabschiedet sich als letzter Nationalspieler aus dem Bauch des Stade Pierre Mauroy. 2:0 hatte das deutsche Team gerade sein EM-Auftaktspiel gegen die Ukraine in Lille gewonnen – und dieser Mustafi, der noch zweieinhalb Wochen zuvor um seinen Kaderplatz bei der EM hatte zittern müssen, hatte ganz maßgeblichen Anteil daran.
Rückblick: Zwei Tage nach der Bekanntgabe des endgültigen Kaders kommt Shkodran Mustafi ins weiße DFB-Zelt in Ascona zum verabredeten Gespräch. „Moin, moin“, sagt der frühere Hamburger und bestellt einen Kaffee. „Mit Milch und Zucker, bitte.“ Der 24 Jahre alte Nationalspieler ist freundlich und höflich, beantwortet jede Frage, auch solche, die andere nicht gerne beantworten. Ob er nicht damit rechnen musste, zu den Streichkandidaten vor der endgültigen Kaderbekanntgabe zu gehören? „Ich habe mich nie für unersetzbar gehalten. Deswegen sage ich auch offen und ehrlich, dass ich mir gar nicht so viel ausgerechnet habe.“
Mustafi ersetzte Hummels in der Innenverteidigung
Doch Fußball ist bekanntermaßen ein schnelllebiges Geschäft. Weil die Wade von Mats Hummels länger als zunächst angenommen streikte, durfte Mustafi mit nach Frankreich reisen. Und weil sich direkt am ersten Tag in Frankreich auch noch Abwehrkollege Antonio Rüdiger einen Kreuzbandriss zuzog, durfte dieser Mustafi plötzlich auch direkt in der Startelf im ersten EM-Spiel gegen die Ukraine ran. „Unheimlich viele Zweikämpfe“ habe er gewonnen, lobte hinterher Bundestrainer Joachim Löw. Dazu noch Bastian Schweinsteigers Treffer zum 2:0 indirekt vorbereitet und das Tor zum wichtigen 1:0 selbst gemacht. „Ich bin einfach glücklich“, sagt Mustafi, der sonst nicht gerade als Plaudertasche gilt, an diesem Abend aber jedem Rede in Antwort steht. Auf Deutsch, Spanisch, Italienisch und Englisch.
„Es ist nicht ganz einfach, wenn man nicht spielt und dann in jedem Spiel auf seine Chance wartet. Da herrscht einfach ein unglaublicher Druck“, sagt Mustafi, der in den Stadionkatakomben keine Mördergrube aus seinem Herzen macht. „Ich bin noch ziemlich jung, auch wenn ich schon 24 Jahre alt bin. Aber ich fühle mich immer noch sehr jung. Das ist alles nicht ganz einfach, aber so etwas wie heute hilft.“
Es hilft dem gläubigen Moslem dabei, all die Dinge richtig einzuordnen, die seit der WM vor zwei Jahren über ihn hereingebrochen sind. Nachnominiert, gleich gespielt, stark kritisiert, behauptet und schließlich nach der WM nach Valencia gewechselt. Die ganz großen Clubs hätten angeklopft, berichtet Mustafi. „Aber da musste ich mir selbst sagen, dass ich vielleicht noch nicht so weit bin. Da muss man dann eine Zwischenstation nehmen. Valencia ist auch ein großer Verein, aber eben nicht der große Verein.“
Mustafi hat gegen die Ukraine überzeugt. Aber im deutschen Team ist er die Zwischenstation. Schon am Donnerstag (21 Uhr/ZDF) gegen Polen könnte der lange angeschlagene Hummels zurückkehren. „Ich gehe davon aus, dass ich spielen könnte, aber das wird der Trainer entscheiden“, sagt der Neu-Münchener, der noch ein paar nette Worte für seinen Vertreter übrig hat: „Musti ist ein herausragender Verteidiger, er hat das sehr gut gemacht.“
Doch sehr gut ist eben manchmal nicht gut genug. „Ich bin hier, um zu helfen“, sagt Mustafi, ehe er in den Mannschaftsbus einsteigt. „Und wenn ich wieder auf die Bank muss, dann muss ich eben wieder auf die Bank.“