Essen. Von Soest nach Essen zur Arbeit ist es ein weiter Weg. 83 Kilometer, um genau zu sein. Welches Verkehrsmittel ist auf so einer Distanz das bessere: Bahn oder Auto? Unser Redakteur macht seit Jahren eine Art Selbstversuch - und berichtet.

In der Bahn: Das Leben in vollen Zügen

Morgens um 10 Uhr in Soest ist der Regionalexpress RE1 (Paderborn – Aachen) ein feiner Zug. Vergessen Sie alle Horror-Geschichten über Regionalzüge. Morgens um 10 und an dieser Stelle ist der RE1: fast leer. Nur eine Stunde braucht er bis Essen. Ein doppelstöckiger Pendler-Traum in rot.

Später, tiefer im Westen, in Hamm, Kamen, spätestens in Dortmund und Bochum, wird er rappelvoll sein. Aber das juckt mich nicht. Ich sitze ja. Und treffe freundliche Zeitgenossen wie Marco, Pädagogik-Student in Dortmund, oder Silvia aus dem spanischen Tarragona, die zum Airport Düsseldorf fährt. Mit ihnen ist gut plaudern und lachen. Zugfahren ist toll!

Abends gibt es unsichtbare Schranken

Abends in Essen ist der RE1 für mich ein blöder Zug. Denn ab 19.53 Uhr fährt er nur noch bis Hamm. Es ist dann so, als habe eine höhere Macht eine unsichtbare Schranke auf die Strecke gebaut. Eine, die verhindert, dass Pendler abends aus dem Ruhrgebiet raus und zügig weiter nach Osten kommen. Zeitgleich legt sich eine solche Schranke auf die Verbindung zwischen Dortmund und Soest (RB 59 Eurobahn), die abends nur noch einmal in der Stunde rollt.

Etwa 70 bis 80 Menschen führt das Schicksal abends in Hamm zu jeder Stunde in einem Stillleben zusammen. In der RB 89 (Eurobahn), die eine halbe Stunde lang einfach nur dasteht, ohne sich zu bewegen. In der „Bimmelbahn“ über Borgeln, Welver, Soest, Bad Sassendorf... Zugfahren ist Mist!

Aggressive und Deoverächter fahren auch mit

Gäbe es einen Wettbewerb „Hässlichster Bahnhof in Westeuropa“, dann wäre Hamm – mit Dortmund – Anwärter auf die Goldmedaille. Je später der Abend, desto öfter tummeln sich hier Gestalten, vor denen Eltern ihre Kinder warnen. Manchmal steigen sie auch in die RB 89 ein.

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„Lass mich in Ruhe, was willst du von mir?“, schreit eine Frau in der Sitzreihe gegenüber. „Komm jetzt mit, oder du kriegst was auf die Fresse“, droht ein zorniger Typ, und er schwingt die Fäuste. Eine wundervolle Gelegenheit, um Zivilcourage zu beweisen, finde ich. Und schon kommen die Zweifel: Was ist, wenn der Kerl dann mich ...? Ich mische mich ein (Blutdruck 220 zu 160, Puls: 180) und der grimmige Mann schluckt das tatsächlich. Sagt: „Ich kenn’ die Alte da, die ist völlig gaga“ und rauscht ab. Die „Alte“ ist übrigens keine 20.

Wer das Leben kennenlernen möchte, sollte in Regionalzügen fahren. Man sieht, riecht und hört sie alle: Anzugträger, Plaudertaschen, Schlafmützen, Christen und Muslime, Deoverächter, Schwarzfahrer, Fußballfans, schräge Vögel und kichernde Damen-Cliquen mit Sekt im Plastikbecher.

Reisedauer von der Haus- bis zur Redaktionstür: 90 bis 120 Minuten.
Kosten: 2800 Euro („Schönes Jahr-Ticket“ der Bahn).
CO2-Ausstoß: 3212 kg/Jahr (Auskunft Umwelt Mobil Check der Bahn auf dieser Strecke)

Im Auto: Langeweile auf vier Rädern 

Es war einmal eine verschlafene Autobahn, die A44 (von Kassel Richtung Dortmund). Zwei Spuren gab es in jeder Richtung, und eine hätte wohl gereicht. Dann kam die Wiedervereinigung. Ein Fest für Deutschland, aber eine fatale Wende für die A44, denn sie war nicht gebaut, um Ost- und Westeuropa zu vereinen.

Wer mit dem Auto von Soest nach Essen pendelt, der weiß nie, worauf er sich einlässt. Es kann richtig gut laufen: A44 frei, kein Stau auf der Bundesstraße 1 in Dortmund und freie Fahrt auf der A40 durchs Revier. Klappt nachts um 3 sehr zuverlässig. Aber morgens um 10 Uhr hat diese Reise die Qualität eines Pokerspiels. Mal gewinnt man, mal verliert man. Wer morgens um 7 fährt, verliert garantiert.

Autofahren ist gemütlich, aber...

Autofahren ist im Gegensatz zum Zugfahren etwas sehr Privates. Du kannst laut Radio hören, telefonieren, rumkrümeln, und es stört niemanden. Keiner geht dir auf den Wecker. Keine Plaudertasche, kein Schläger, keine Sekt-Gabi. Allerdings ist rein ökologisch betrachtet diese Art des Pendelns katastrophal. Es sei denn, man würde weitere Pendler im Auto mitnehmen.

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Die A40 ist ein paar Zeilen extra wert. Ist ja immerhin die Ruhrgebietsstraße, ein schmales, lautes und graues Abbild der Heimat. Seit Jahren fahre ich gelegentlich auf dieser Traumstraße gen Westen oder Osten, und habe mich an die Baustelle bei Wattenscheid gewöhnt. Sie ist wie ein guter Freund, sie war immer da, sie hat mir Entschleunigung in hektischer Zeit aufgezwungen.

Und jetzt soll sie auf einmal verschwinden. Unfassbar. Kaum sind meine Haare über die Jahre grauer geworden, ist die Baustelle weg. Ab Ende 2014 heißt es: freie Fahrt zwischen Dortmund und Essen, auf dem größten Teil der Strecke sogar dreispurig. Fehlt eigentlich nur noch die A44!

Reisedauer von der Haus- bis zur Redaktionstür: 55 bis 100 Minuten.
Kosten: 15.000 Euro/Jahr (bei 0,40 Euro pro Kilometer und 37.500 km Weg).
CO2-Ausstoß: 6116 kg/Jahr (Auskunft: Umwelt Mobil Check der Bahn auf dieser Strecke)

Fazit: Autofahren ist unberechenbar und teuer. Bahnfahren ist (oft) entspannter, umweltfreundlicher und viel billiger.