Brüssel. Verkehr erzeugt Lärm. Viel Lärm. Dagegen möchte die EU-Kommission vorgehen, will für leisere Personenwagen, leichte Nutzfahrzeuge und Lastwagen sorgen. Der deutsche Automobilindustrie schlägt Alarm.
Lärm ist eines der schlimmsten Umweltübel, und Hauptverursacher ist der Straßenverkehr. Die EU will für leisere Autos – Pkw, leichte Nutzfahrzeuge, Lkw – sorgen und deswegen die zulässigen Höchstpegel weiter senken. Doch die deutsche Autoindustrie schlägt Alarm: Die Brüsseler Vorschläge seien zu radikal und würden Eingriffe während des laufenden Produktionszyklus erfordern. Nichts da, sagt die EU-Kommission. Die Grenzwerte seien “ehrgeizig, aber erreichbar”.
Verkehrslärm verursacht schwere gesundheitliche und volkswirtschaftliche Einbußen. Die Brüsseler Kommission schätzt, dass in der EU jeder Fünfte (= 80 Millionen) Bürger einem unverträglichen Quantum Krach ausgesetzt ist. Für weitere 170 Millionen sei Lärm mindestens tagsüber ein ständiges Ärgernis. Der volkswirtschaftliche Schaden summiert sich auf bis zu 120 Milliarden Euro im Jahr.
Dass angesichts solcher Zahlen die seit 1995 geltenden EU-Limits verschärft werden müssen, ist unstrittig. Zwar nimmt die Industrie für sich in Anspruch, ihre Fahrzeuge bereits viel leiser gemacht zu haben. Dennoch erklärt sich Matthias Wissmann, Chef des Verbands der Automobilindustrie (VDA), einverstanden, “dass die Geräuschregulierung fortgeschrieben wird”. Fragt sich nur, wie und wie schnell.
Lärm um zwei Dezibel absenken
Der Vorschlag von EU-Industriekommissar Antonio Tajani sieht vor, die Werte für Pkw, Kleinlaster und Busse in zwei Schritten um jeweils zwei Dezibel zu senken. Für schwere Lkw will Tajani sich auf der ersten Stufe mit einem Dezibel weniger begnügen. Stufe zwei müssten die Hersteller spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten der neuen Verordnung erreichen. Insgesamt soll das die Lärmbelästigung um eine Viertel verringern.
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Umsonst ist das nicht: In den kommenden drei Jahrzehnten kämen nach Berechnung des niederländischen Instituts TNO auf die Autoindustrie Mehrkosten von sechs Mlliarden, auf die Reifenbranche von knapp fünf Milliarden Euro zu. Der volkswirtschaftliche Nutzen betrüge freilich ein Vielfaches. Laut TNO würden sich die Wertsteigerungen von Immobilien, eingesparte Krankheitskosten und geringere Aufwendungen für Lärmschutz bis 2030 auf 123 Milliarden Euro summieren.
Kritik an knapper Vorlaufzeit
VDA-Chef Wissmann kritisiert indes, der Vorlauf für die neuen Werte sei zu knapp bemessen. Der Entwicklungszyklus eines neuen Modells dauere sieben Jahre. Wolle man die Vorgaben der Kommission erreichen, müsse man bei jedem dritten Pkw noch während des laufenden Zyklus Typ-Veränderungen vornehmen. “Nicht wenn die Industrie jetzt mit den Vorbereitungen anfängt”, heißt es dazu im Hause Tajani. “Die wissen doch, wohin die Reise geht!”
Auch der Europaabgeordnete und Verkehrsexperte Michael Cramer von den Grünen hält die Kritik der Industrie für Propaganda: “Die Versuche der Auto-Lobby, die von der EU angestrebten Lärmsenkungen als unerreichbar darzustellen, snd genauso wenig überzeugend wie ihr damaliger Widerstand gegen strengere CO2-Grenzwerte.”
Entscheidung im Herbst
Von einem Beschluss ist die EU noch weit entfernt. Das Europa-Parlament will erst im Herbst entscheiden. Der Ministerrat als Co-Gesetzgeber und Organ der Regierungen hat sich auch noch nicht näher mit der Sache befasst. Von deutscher Seite darf Wissmann mit Beistand rechnen.
Die Bundesregierung befürwortet die Initiative der Kommission zwar “im Grundsatz”, will sich aber für längere Vorlauffristen stark machen. Einen entsprechenden, mit der Autoindustrie abgestimmten Plan hat Berlin bereits im letzten Sommer bei der Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) eingereicht. Das ist eine Genfer UN-Organisation, die sich ebenfalls mit dem Thema befasst.