Chattanooga/Wolfsburg. . Als letzter großer deutscher Autokonzern hat Volkswagen ein eigenes Werk in den USA eröffnet. Vorstandschef Winterkorn weihte am Dienstag die weltweit 62. VW-Fabrik ein - in Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee.
Damit hatte VW-Chef Martin Winterkorn nicht gerechnet: Als er die große weiße Fabrikhalle betrat, tönte ihm aus 20 ungeübten Männerkehlen "Happy Birthday to you" entgegen. An seinem 64. Geburtstag war Winterkorn war nach Chattanooga im Süden der USA gekommen, um dort das 62. Werk des Weltkonzerns zu eröffnen. Und diesmal hatte das Geburtstagskind die Geschenke dabei. Winterkorn präsentierte nicht nur die 700-Millionen-Euro-Fabrik, er legte noch nach. Es könne "schon in den nächsten zwölf Monaten passieren", dass Volkswagen über eine Erweiterung entscheiden müsse.
Dabei hat der Wolfsburger Konzern bisher nicht einen einzigen Wagen aus der nagelneuen Produktionsstätte verkauft. VW baut in Chattanooga den extra für Nordamerika konzipierten Ableger der Mittelklasselimousine Passat, die mit einem Kampfpreis von rund 20.000 Dollar (14.000 Euro) Kunden der erfolgreichen japanischen Konkurrenten anlocken sollen. Hauptwerk des Passats ist Emden. Schnell beruhigte Winterkorn möglicherweise besorgte Werker in Ostfriesland. Er schloss einen Export des gigantischen aber billigen US-Passats nach Europa rundherum aus. "Emden muss sich keine Sorgen machen", sagte Winterkorn. VW wisse um "die Verantwortung unserer Heimat gegenüber".
Volkswagen präsentiert sich als Amerikaner
In Chattanooga geht um etwas anderes. "Volkswagen ist heute mehr in Amerika zuhause als je zuvor", sagte Winterkorn zu Eröffnung vor der Belegschaft. Auf dem Weg vom Flughafen fuhr er an einem riesigen Werbeschild vorbei: "Works here. Lives here. Volkswagen". Auf Deutsch: "Wir arbeiten hier. Wir leben hier. Volkswagen". VW will den US-Bürgern nicht mehr als technikverliebter deutscher Exporteur gelten, VW will ein Ami werden.
Das Werk mit 2.000 Mitarbeitern im Endausbau soll die jahrelange Krise des größten Autobauers Europas in USA beenden, wo in den vergangenen Jahren wegen des starken Eurokurses Milliardenverluste entstanden waren. Jetzt werden die Teile im Dollarraum gekauft, das Auto im Dollarraum gebaut.
Winterkorn kündigte an, der VW-Konzern wolle seinen US-Absatz verdreifachen. "Der Konzern will bis 2018 jährlich eine Million Fahrzeuge in den USA verkaufen", sagte er. 2010 waren es erst 360.000 in einem Markt von mehr als 11 Millionen Neufahrzeugen. Winterkorn rechnet mit einem Wachstum des US-Marktes auf mehr als 15 Millionen Stück und VW will dabei sein.
VW-Chef sieht neue Stärke von GM und Ford
Winterkorn geht ein hohes Risiko ein. Die alten US-Hersteller GM und Ford werden nach Ende der Wirtschaftskrise von Monat zu Monat wieder stärker und der koreanische Autobauer Hyundai ist in den USA fast doppelt so groß wie VW. "GM und Ford werden immer ihren Platz in der Top-Liga finden", sagt Winterkorn.
VW plant zunächst eine Jahresproduktion in Chattanooga von 150.000 Stück, die aber bei guter Nachfrage kurzfristig auf 250.000 Stück angehoben werden kann. Der Wagen ist größer und breiter als der deutsche Passat, kann aber wegen niedriger Lohnkosten in den USA von 15 Dollar pro Stunde (10,50 Euro) deutlich billiger als ein Golf in Deutschland angeboten werden. Auch die Innenausstattung und andere Einzelheiten sind billiger. Winterkorn gab sich überzeugt, dass der 4,90-Meter-Riese den Geschmack der Amerikaner treffen wird.
Dass die Amerikaner umgekehrt den Geschmack von Winterkorn treffen können, zeigte sich am Ende der Einweihung: Die Belegschaft schenkte ihm zum Geburtstag ein Ehrentrikot des Fußballvereins "FC Chattanooga". (dapd)