Barcelona. . Kim Schulte aus Essen hat in der Pappschachtel aus der alten DDR drei Kontinente befahren. Er macht dem schönsten Zweitakter der Welt eine echte Liebeserklärung. Vor 15 Jahren lief der letzte Trabi in Zwickau vom Band.
So ein Leben mit dem Trabi hat auch seine Härten. Als Kim Schulte, Weltenbummler aus Essen, vor zwanzig Jahren mit seinem ersten Trabanten von Rumänien nach Athen unterwegs ist, kommt es zum Desaster. In Bukarest fragt er nach Zweitaktgemisch. Wegen Verständnisproblemen an der Tankstelle fährt er schließlich ohne Zweitaktöl los. In Mazedonien machen die Kolben zunehmend Probleme. In Nordgriechenland ist Schluss. Kolbenfresser. Es bleibt nur der Weg in die Schrottpresse.
Es war ein Anfängerfehler, der dem heute 39-Jährigen nicht noch ein Mal unterlaufen sollte. Inzwischen hat er im Trabi 300 000 Kilometer zurückgelegt. Hat mit der Pappschachtel von Spanien nach Nordafrika übergesetzt, ist quer durch Osteuropa gegurkt und bis in den asiatischen Teil der Türkei vorgedrungen. „Welches Auto kann schon von sich behaupten, auf drei Kontinente gefahren zu sein“, sagt der Spanisch-Dozent, der seit Kurzem an der Uni Barcelona unterrichtet.
Gefunkt hat es zwischen Schulte und dem Trabanten schon in den 80er Jahren. Als er damals erstmals in die DDR kommt, wird er schwach: „Das Design so klassisch und schön. Und die Genügsamkeit dieser Autos!“ Mit der Wende kommt die Gelegenheit. 1991 macht der Abiturient „rüber“ nach Bad Langensalza, kommt bei der Verwandtschaft unter, um sich sein erstes Modell auszusuchen. Ein Trabant P601 de Luxe Limousine. Mit goldenem Miniaturauto im durchsichtigen Lenker-Schaltknauf. Ein Traum in hellbraun. Für 600 D-Mark.
Wer seinen Trabbi liebt, der schiebt
Zwar hält Trabi I nicht lange. Aber in den frühen neunziger Jahren ist Ersatz rasch beschafft. Und schnell wird für Schulte klar, dass es eine Beziehung auf Dauer ist. „Der Trabi hat mir ein Gefühl der Freiheit gegeben. Man fühlt sich wie in den sechziger oder siebziger Jahren. Das Fahrgeräusch, die frische Luft, weil man mit offenen Fenstern und ohne Klimaanlage fährt.“ Es wird ein unzertrennliches Gespann. Als der Trabi am Essener Baldeneysee mit zu einer ganz bestimmten Stelle muss, aber keine für Pkw zugelassene Straße vorhanden ist, wird er gemeinsam mit Freunden vier Kilometer am Ufer entlang geschoben. Er ist ja nicht so schwer.
Als Schulte zum Studieren nach Cambridge zieht, gestaltet sich die Ersatzteilbeschaffung zunehmend schwierig. Das ein oder andere Mal müssen Freunde mit Achsaufhängungen oder anderen Teilen von ostdeutschen Schrottplätzen anreisen. In England gründet sich schließlich die Organisation „Friends of the Trabant“, der Schulte beitritt. Die Freunde sind zu zwölft, im gesamten Vereinigten Königreich. Doch man hilft sich gegenseitig nach Kräften.
Ganz kritischer Moment
In England, im südwestlichen Devon, erlebt Schulte auch den kritischsten Moment mit seinem Trabi: In einer engen, überfluteten Landstraße mit meterhohen Wällen links und rechts kommt ihm ein Wagen im Rückwärtsgang entgegen. Nach der Vollbremsung kippt Schultes Kiste auf die Seite, rutscht 20, 30 Meter den Wall entlang, der Arm zwei Zentimeter über dem Asphalt. Er übersteht die Szene nach James-Bond-Manier unversehrt. „Es war auch das gute Gleitverhalten des Trabis, das mich vielleicht gerettet hat“, sagt Schulte.
„Mein Lebensblut“
Selbst nach dem Unfall denkt der Dickkopf nicht daran, in ein moderneres, robusteres Gefährt umzusteigen. „Der Trabi ist mein Lebensblut“, sagt er. Es ist eine gegenseitige Liebe. „Mit der Zeit lernt man, was dem Motor und der Mechanik gut tut. Die Fahrweise, was man ihm zumuten kann oder nicht zumuten sollte. Ich stelle mich auf den Trabi ein. Und er weiß es mir zu danken.“
Zahllose Abenteuer hat Schulte inzwischen mit dem klapprigen Zweitakter bestanden. Durch den marokkanischen Wüstensand ist er gebrettert, mit der Mutter auf dem Beifahrersitz auf die Hebriden-Inseln vor Schottland gefahren. Immer wieder mit Freunden unterwegs und immer die Nase im Wind. Hotels, Campingplätze? Das braucht Schulte nicht. „Wenn man die Sitze rausnimmt, kann man zu zweit darin schlafen. Man kann sich ganz ausstrecken, sogar ich mit meinen 1.80 Metern. Das ist wie ein Wohnmobil. Morgens einen Kaffee vom Gaskocher, dann die Sitze wieder rein - und weiter geht“s.“
Selbst als Lastwagen nutzt der Sprachwissenschaftler seinen Trabi. Als er von Cambridge nach Bukarest umzieht, friemelt er seinen gesamten Hausstand in die Karre. Hinterbänke raus, Beifahrersitz raus, schon entsteht eine beachtliche Ladefläche. Der Schreibtisch auf dem Dach, die Stehlampe schaut aus dem Kofferraum. Mit einem Trick baut er sich sogar eine Schlafröhre unter das Gepäck. So kann er unterwegs im Wagen übernachten.
Manchmal kommt Schwermut auf
Bei einer so innigen Liebe - kann sich Schulte da überhaupt eine Zukunft ohne Trabi vorstellen? Eigentlich nicht. Gerade hat er seinen Trabi noch ein Mal mit eigener Kraft über den britischen TÜV gebracht. Jetzt steht die Überführung nach Barcelona an. Wie werden die spanischen Behörden reagieren, wenn eine zwanzig Jahre alte Rennpappe vorgefahren kommt? Dabei wäre der kleine Wagen in der Großstadt doch so praktisch.
Manchmal befällt Schulte Schwermut. Zwanzig Jahre, nachdem der letzte Trabant vom Produktionsband gerollt ist, leeren sich allmählich die letzten Ersatzteillager. Wie soll es weitergehen?
Damals, nach der Wende, da habe es keine ökonomische Perspektive gegeben, sagt er. Alle Leute im Osten wollten westliche Standards. Doch heute sieht Schulte eine neue Chance für den Trabi. Der wartungsarme Zweitaktmotor, die simple Mechanik, die leichte und trotzdem robuste Bauweise: Warum nicht einen neuen Anlauf nehmen, um den Trabi für Entwicklungsländer zu bauen. „Die Idee“, sagt Schulte, „ist gar nicht so abwegig.“ (dapd)
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