Essen. . Nach einem Unfall hat ein Familienvater einen Monat im Koma gelegen. Seine Rückkehr stellt die irische Familie vor neue Herausforderungen. Die bitter-süße Komödie „Voll und ganz und mittendrin“ ist eine der wenigen eigenständigen, anrührenden Filmperlen dieses Kinojahres.
Eine amerikanische Filmemacherin feiert ihr Regiedebüt mit einer deutsch-irischen Co-Produktion. Schon dieser Hintergrund lässt auf Ungewöhnliches schließen, und in der Tat ist die bitter-süße Komödie „Voll und ganz und mittendrin“ eine der wenigen eigenständigen, anrührenden Filmperlen dieses Kinojahres.
Der Ausgangspunkt mutet deprimierend an: Connor (Edward MacLiam) ist zurück zu Hause. Einen Monat lang hatte er nach einem Unfall im Koma gelegen, es folgten vier weitere mühsame Monate der Rehabilitation im Krankenhaus. Zwar ist der Mann nun wieder körperlich wohlauf, die Schädigungen im vorderen Gehirnlappen aber werden wohl noch längere Zeit Connors Kommunikationsverhalten einschränken.
Die Lage ist kompliziert, aber nicht hoffnungslos
Das alles weiß Vanetia (Maxine Peake) genau, als sie ihren Mann an diesem Morgen zurück in den Schoß der Familie führt. Die kleine Tochter bekommt von all dem noch nicht viel mit, der halbwüchsige Sohn Lenny hingegen hätte einen zugewandten Vater nötig, seit er wegen seines Coming-outs in der Schule und im Schwimmverein gemobbt wird. Dieses kann Connor vorerst nicht leisten, weshalb Ted (Will Forte) immer mehr ins Rampenlicht rückt. Der amerikanische Wissenschaftler der Psychologie ist als medizinische Begleitperson in den Haushalt aufgenommen worden, um Connors Verhalten per Videokamera zu dokumentieren. Die Rolle des neutralen Beobachters aber kann nicht lange aufrecht erhalten bleiben.
Es gibt Erfahrungswerte, wie eine solche Geschichte in diversen Produktionsländern aufgezäumt würde. Bei den Amerikanern stünde wohl ein romantischer Aspekt zwischen Ehefrau und Doktor im Zentrum, bei den Franzosen das Verhältnis Patient und Familie, bei den Skandinaviern wäre ein Verhältnis zwischen Sohn und Mediziner denkbar und bei den Deutschen gärte wohl eine Gemengelage aus allem, wobei die Ehefrau vermutlich noch an der Flasche hinge und der Sohn mit einer Herzschwäche zu kämpfen hätte. Wie auch immer ist die Lage kompliziert und nicht unbedingt ermutigend, sich dafür ins Kino zu begeben. Aber das war bei „Ziemlich beste Freunde“ und „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ auch so.
Raum für überraschende, interessante Wendungen
Zugegeben, „Voll und ganz und mittendrin“ ist kein Film, der brüllende Lacher provoziert. Aber er pflegt einen optimistischen Ton im Blick auf Lebensbewältigung. Keine der tragenden Figuren hat es leicht in ihrer Situation, allerdings beklagt sich auch keiner; jeder stellt sich der Sache nach seinen Möglichkeiten an, muss dafür Rückschläge in Kauf nehmen, kommt aber letztlich voran. Die Balance von amüsanten und dramatischen Momenten ist von Drehbuch (Ailbhe Keogan) und Regie (Steph Green) fein austariert und schafft Raum für überraschende, interessante Wendungen. Jede Figur hat Tiefe, jede Situation entwickelt sich nachvollziehbar. Es gibt stimmungsvolle Bilder, alle Schauspieler leisten Großes.
Aus diesen formalen Qualitäten heraus ergibt sich eine erstaunlich anrührende und zugleich fesselnde Synthese aus amerikanischer Melodramatik, deutscher Konflikttiefe und jenem hemdsärmeligen Pragmatismus, wie ihn wohl nur die Iren pflegen. Tatsächlich ist der Film im irischen Bezirk Kerry angesiedelt, verkneift sich das folkloristische Gebaren, das Filme von der grünen Insel gern im Übermaß auftünchen. Es geht um Liebe, Selbstwert und Zugehörigkeit und wie man damit in schwerer Zeit umgeht. Das bewältigt dieser Film mit einer Wahrhaftigkeit, die zu Herzen geht, weil er keine falschen Töne, sondern echte Gefühle anschlägt.
Wertung: 4 von 5