Dortmund. Der neue Geschäftsführer legte eine Bilderbuch-Karriere hin. Romantik ist aber nicht der treibende Faktor hinter der Beförderung.

Neulich saß Lars Ricken unter der Südtribüne. Es war wieder klirrend kalt, obwohl doch eigentlich schon der Frühling eingesetzt hatte. Manche hatten sich in Decken mit übergroßem BVB-Logo gemummelt, andere erhofften, dass das Gratis-Bier von Borussia Dortmunds Sponsor die Kälte, die aus dem grauen Betonboden durch die Schuhsohlen in den Körper zog, bekämpfen könnte. Auch Ricken aber sorgte dafür, dass den vielen Fans, die zur Aufzeichnung des Talk-Formates „Brinkhoff‘s Ballgeflüster“ gekommen waren, wärmer ums Herz wurde.

Ricken erzählte, wie er als Fünfjähriger im Jahr 1981 mit seinem Vater auf der Nordtribüne stand und Marcel Raducanu den Ball jonglieren sah, sofort hin und weg war von den technischen Fähigkeiten des Rumänen, der sich noch in der selben Nacht in den Westen absetzen sollte und wenige Monate später beim BVB anheuerte. Dann sprach Ricken über die Relegation gegen Fortuna Köln, als Jürgen Wegmann den Verein vor dem Abstieg rettete. „Das ist mein Spiel, und das ist das Spiel, warum wir hier heute alle noch sitzen“, sagte er.

Heute ist Ricken, 47, eine Vereinslegende, weil er Marcel Reif zwar nicht hörte, aber trotzdem lupfte und nachher bodenständig blieb. Der Champions-League-Triumph ist eng mit Ricken, in Dortmund-Brechten aufgewachsen, verwoben. Dreimal wurde er Deutscher Meister mit dem Klub, dessen Fan er noch immer ist.

BVB: So baute Lars Ricken das NLZ um

Es ist eine schwarz-gelben Karriere aus dem Bilderbuch. Ab 1. Mai wird er ganz oben ankommen, dann wird Lars Ricken seinen Verein als Sport-Geschäftsführer leiten, nachdem er viele Jahr lang die Nachwuchsabteilung zu einer der renomiertesten in Europa aufgebaut hat. „Ich bin Dortmunder, ich bin hier geboren, mein Vater hat für die Jugend gespielt, ich stand als Fan auf der Tribüne. Es gibt nicht viele Wege, die schöner für einen Dortmunder Jungen sein könnten“, sagte er mal.

Sein wichtigstes Tor: Lars Ricken schießt den BVB 1997 zum Champions-League-Sieg.
Sein wichtigstes Tor: Lars Ricken schießt den BVB 1997 zum Champions-League-Sieg. © DPA Images | Achim Scheidemann

Mitte der 1990er-Jahre debütierte Ricken unter Ottmar Hitzfeld. Teenager im Profibereich, damals eine absolute Seltenheit. Noch heute erzählen Dortmunder weiter, wie sie im Dezember 1994 Rickens spätes Tor gegen Deportivo La Coruna erlebt haben. In Borussias legendärer Mannschaft mit den neongelben Trikots spielte das Eigengewächs eine wichtige Rolle, hatte die Gabe, insbesondere im Europapokal die wichtigen Treffer zu erzielen. Viele Verletzungen allerdings prägten die zweite Phase von Rickens Karriere, auch in der Nationalmannschaft spielte er nie die tragende Rolle. Sein Status beim BVB blieb davon unberührt.

Dass ihn der Klub nun zum Sport-Geschäftsführer ernannt hat, hat nichts mit Romantik zu tun. Sie war keineswegs der treibende Faktor, aber ein nettes Zubrot. Denn Ricken hat nach seinem Karriereende als Spieler als Funktionär sehr gute Arbeit geleistet, im Ringen um die Top-Talente der Welt hatte der Klub oftmals die Nase vorn: Jadon Sancho, Jamie-Bynoe-Gittens, Christian Pulisic, Giovanni Reyna, Youssoufa Moukoko – alle wurden unter Rickens Leitung nach Dortmund geholt. Ein weiteres Beispiel: Weil Ricken die Aufgaben im NLZ auf die Schultern diverser Fachleute aufgeteilt hat, sieht der BVB nach Informationen dieser Redaktion vorerst keinen Grund, Rickens Stelle nachzubesetzen.

BVB: Hohe Meinung von Lars Ricken im Verein

Im Verein hat man seit vielen Jahren eine hohe Meinung von Ricken. Sein Name fiel auch, als der BVB langsam einen Nachfolger für den früheren Sportdirektor Michael Zorc aufbauen wollte. Für Ricken ist derweil schon länger klar, dass der Job als Nachwuchschef nicht das Ende seiner persönlichen Karriereleiter sein sollte. Allerdings wollte er keinen seiner Schritte erzwingen, schnell klettern – ihm ist es wichtiger, langfristig erfolgreiche Arbeit zu leisten. Nach gründlicher Überlegung ist er sich sicher, dass er den Aufgaben als Geschäftsführer und dem öffentlichen Druck, der mit dem Job einhergeht, gewachsen ist.

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke (re.) bespricht sich mit Carsten Cramer.
BVB-Chef Hans-Joachim Watzke (re.) bespricht sich mit Carsten Cramer. © Jürgen Fromme /firo Sportphoto | Jürgen Fromme

Intern gilt Ricken als jemand, der sich viele Meinungen anhört und von guten Argumenten überzeugen lässt. Zu Matthias Sammer pflegt er ein enges Verhältnis, dessen Wort dürfte beim BVB daher weiterhin Gewicht haben. Ricken steht mehr für modernen CEO mit PowerPoint-Präsentationen und Meetings, statt als autoritärer Boss aufzutreten. Gleichzeitig überzeugt er aber durch Bauchgefühl, anstatt Entscheidungen zu zögerlich zu treffen – besonders für den scheidenden Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke wie auch Diskretion ein wichtiges Kriterium. Ob Ricken, der bislang abseits des medialen Drucks gearbeitet hat, mit all den Unwägbarkeiten umgehen kann, die auf ihn in dieser Position einstürmen können, muss sich jedoch erst zeigen.

Bald wird Lars Ricken in dessen Büro in der Geschäftsstelle an die B1 ziehen. Nadelstreifen wird er nicht tragen, wie er es in seinem legendären Nike-Werbespot im Jahr 1997 den damaligen Funktionären vorgeworfen hatte. Der Dortmunder kleidet sich lieber leger. Überhaupt: Mit seinem Clip geht er mittlerweile selbstironisch um, in dem Wissen, dass er künftig selbst über riesige Milllionenbeträge entscheiden wird.

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