Köln. Die Kölnerin lässt sich von ihrer Behinderung nicht einschränken. Im Gegenteil: Sie steht als Journalistin ihre Frau.
Natalie Dedreux sagt: „Ich bin ein Profi.“ Ihre Chefin meint: „Sie ist eine wahnsinnig interessierte junge Frau mit einer großartigen Zukunft. Ich finde sie einfach nur toll.“ Natalie Dedreux hat das Down-Syndrom. Sie stellt klar: „Das ist keine Krankheit. Wir haben ein Chromosom zu viel, wir haben 47 Chromosomen, ihr anderen habt 46 Chromosomen.“
Die Kölnerin, Jahrgang 1998, hat eine inklusive Gesamtschule besucht und ihren Schulabschluss im „Bildungsgang Geistige Entwicklung“ gemacht. Sie lebt in einer pädagogisch betreuten inklusiven Wohngemeinschaft zusammen mit einem weiteren Menschen mit Down-Syndrom und zwei Studentinnen. Als Aktivistin reist sie durch ganz Deutschland, besucht Demonstrationen und Kundgebungen, hält Reden und sagte der Bundeskanzlerin öffentlich ihre Meinung zur Pränataldiagnostik. Damit wurde sie bekannt.
„Von Anfang an mein Traumjob“
Natalie Dedreux ist Bloggerin und schreibt seit sieben Jahre Texte für den „Ohrenkuss“. „Dort als Journalistin zu arbeiten, war von Anfang an mein Traumjob.“ Sie ist fest angestellte Journalistin bei diesem inklusiven Magazin und dem partizipativen Forschungsinstitut touchdown 21 in Bonn, in dem Menschen mit und ohne Down-Syndrom gleichberechtigt zusammenarbeiten. Natalie ist fit in der Arbeit mit Sozialen Netzwerken, sie betreut Instagram, die Webseite, das Pressearchiv und kümmert sich mit um die Büroorganisation. Als sie anfing, nahmen einige Teammitglieder an, dass sie Büroklammern sortieren und Gläser spülen würde. So kann man sich irren. Die Ohrenkuss-Mitarbeitenden mit Down-Syndrom nervt, dass viele Menschen annähmen, nur „fitte Leute“ könnten in einer Redaktion mitwirken. „Menschen mit Down-Syndrom machen mit. Weil sie es wollen. Sie haben alle was zu sagen. Sie haben Gedanken im Kopf, und sie haben eine Meinung. Sie möchten gerne Dinge lernen. Alle können beim Projekt mitmachen. Auch wenn sie nicht lesen und schreiben können. Wichtig ist nur, dass sie sich für ein Thema interessieren“, heißt es auf der Webseite des Magazins. Natalie Dedreux erklärt wörtlich: „Der Ohrenkuss wurde auch in dem Jahr gegründet 1998 wo ich zur Welt gekommen bin, das heißt, dass wir gleich alt sind. Und der Ohrenkuss ist eine Zeitung, wo nur Menschen mit Down-Syndrom mitschreiben. Und es wird eine Party geben und da wird der Ohrenkuss in diesen Jahr 25 Jahre alt und das ist was Gutes und das muss man feiern.“
Der originelle Name bedeutet, dass man viel am Tag hört und das meiste zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus geht. Das Wichtige aber bleibt im Kopf: Das ist ein Ohrenkuss. Das inklusive Magazin, vor 25 Jahren gegründet, wurde vielfach ausgezeichnet. Humangenetikerin und Chefredakteurin Dr. Katja de Braganca erhielt das Bundesverdienstkreuz am Bande. Über Natalie Dedreux sagt sie: „Sie ist unter anderem gut darin, mit Menschen zu sprechen.“ Vielfalt und Diversität seien die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Magazin.
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Dr. Katja de Braganca erläutert, es dauere lange, bis im Bewusstsein der Menschen verankert sei, dass Menschen mit Down-Syndrom gleichberechtigt, mündig und vielfältig talentiert seien. „Was sich jemand nicht vorstellen kann, das gibt es für ihn nicht. Das ist ein gesellschaftliches Phänomen.“ Seit der Gründung des Ohrenkusses sei jedoch schon viel erreicht worden. „Die Menschen wissen jetzt, dass jemand mit Down-Syndrom ein Journalist sein kann. Wir brauchen aber auch politische Bildung. Wir sollten fragen: Was würdest Du als Bürgermeister oder als Bundeskanzlerin machen?“ Leider fänden es immer noch viele Menschen bequemer, wenn Menschen mit Beeinträchtigungen ihre Stimme nicht erheben, ihre Rechte nicht einfordern würden und leicht zu gängeln seien.
Natalie Dedreux lässt sich nicht gängeln. Sie nimmt an den Aktionen von touchdown 21 teil, plant mit, schreibt Ablaufpläne und bucht vor Reisen die Hotelbetten. Sie liebt es, mit ihren Kolleginnen und Kollegen zu verreisen, 2019 sogar in die Ukraine. Von dieser Reise mit dem Goethe-Institut Kiew entstand eine eigene, eindrucksvolle Ausgabe des Ohrenkusses. Das Team wollte vor Ort herausfinden, wie Menschen mit Down-Syndrom in diesem Land leben.
50.000 Menschen mit Trisomie 21
Ein Mensch mit Trisomie 21 als politisch engagierte, hauptberufliche Journalistin, die oft und gerne in der Öffentlichkeit steht? Für Natalie Dedreux überhaupt kein Problem. Wenn nötig, mit kleinen Hilfen. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Berufstätigkeit von Menschen mit Down-Syndrom ist eine Arbeitsassistenz. Diese Person führt sie an Aufgaben heran und unterstützt sie dabei, erlernte Tätigkeiten selbstständig auszuführen. Die Autonomie des Menschen mit Down-Syndrom soll dabei erhalten bleiben. Ungefähr 50.000 Menschen mit Trisomie 21 gibt es in Deutschland. Die meisten leben im betreuten Wohnen, üben Hilfstätigkeiten aus und beziehen Grundsicherung. Wenn jemand geeignet ist, um zu beweisen, dass viele von ihnen ein ganz anderes Leben führen könnten, dann ist es Natalie Dedreux.
Eins ihrer wichtigsten Themen ist die vorgeburtliche Diagnostik. „Die Menschen sollen hören, was wir Menschen mit Down-Syndrom zu sagen haben!“ In der TV-„Wahlarena“ fragte sie mal Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Wieso darf man Babys mit Down-Syndrom noch bis kurz vor der Geburt abtreiben?“ Für ihren mutigen Einsatz verlieh ihr die Bundesvereinigung Lebenshilfe den Preis Bobby. Bei einer Demonstration gegen ein neues Abtreibungsgesetz hielt die Aktivistin eine Rede. „Es ging um einen Blut-Test für schwangere Frauen. Wir Menschen mit Down-Syndrom wollen auf der Welt bleiben.“ Natalie Dedreux hat 2019 auf Change.org eine Onlinepetition gegen den vorgeburtlichen Test auf Trisomie 21 gestartet, mehr als 30.000 Menschen haben sie unterschrieben. (https://www.change.org/natalie).
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Einsatz auch für Leichte Sprache
„Ja, ich arbeite als Aktivistin, die sich sichtbar macht, und ich kämpfe für die Menschenrechte für Menschen mit Down-Syndrom. Und ich arbeite in meinem Büro, und da mache ich öffentliche Arbeit. Aber ich bin noch in einer Werkstatt angestellt und habe einen Außenarbeitsplatz. Und ich habe auch viele Reden gehalten zum Thema Bluttest auf Down-Syndrom und Leichte Sprache. Ich mache meine Öffentliche Arbeit, weil es wichtig ist, dass ich uns Menschen mit Down-Syndrom sichtbarer mache, und ich kämpfe auch für mehr Inklusion. Denn Inklusion heißt nicht, dass man über uns Menschen mit Down-Syndrom redet, sondern dass man mehr mit uns redet. Das heißt dann auch, dass wir Menschen mit Down-Syndrom ernster genommen werden müssen.“
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Auf ihrer Webseite schreibt die junge Frau, sie finde ihr Leben gut, weil sie so anerkannt sei. Für sie sei es cool, dass die Menschen sie im Fernsehen und in der Zeitung sehen und lesen und dass sie berühmt sei. „Dann sehen die Menschen, wie cool Menschen mit Down-Syndrom sind. Ich hoffe, dass sie dann weniger Abtreibung machen.“
Bei der riesigen Sportveranstaltung der Special Olympics in Berlin sprach Natalie Dedreux im Juni 2023 sogar vor 50.000 Menschen. Die Special Olympics sind die weltweit größte Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung. „Ich habe in Berlin moderiert, und das hat mir viel Spaß gemacht. Das war schon ein bisschen aufregend, vor so vielen Menschen zu sprechen. Wir haben die wichtigen Leute und die Sportler interviewt.“
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Während der Corona-Pandemie hat die Journalistin ihre Aufgaben eigenständig im Homeoffice am PC erledigt. Wegen eines angeborenen Herzfehlers ist sie Risikopatientin und musste sich strikt an die Kontaktbeschränkungen halten. Natalie durfte weder ihren Freund treffen noch einkaufen oder in die Redaktion fahren. „Es hat schon genervt, dass ich nicht mehr nach Bonn zur Ohrenkuss-Sitzung fahren konnte. Wir haben es so gemacht, dass wir uns über Zoom bei der Ohrenkuss Sitzung online getroffen haben.“
Natalie Dedreux redet Klartext
Die Corona-Beschränkungen sind vorbei, und Natalie Dedreux steht die Welt wieder offen: „Was ich noch vorhabe in diesem Jahr und was bei mir so ansteht ist, dass ich weiter für Menschen mit Down-Syndrom kämpfe und auch weiter gegen den Bluttest auf Down-Syndrom kämpfen werde. Und ich werde auch gerne weiter laut sein und demonstrieren gehen. Und noch einige Lesungen aus meinem Buch machen.“ Die Journalistin zeigt in ihrem Buch „Mein Leben ist doch cool!“ eine andere Sicht auf unsere Welt. Sie schildert ihre Ansichten zu Themen wie Afghanistan, Judentum oder veganer Ernährung. Wie es ihr entspricht, bringt sie ihre Meinung klar zum Ausdruck. Natalie Dedreux fordert uns auf, wichtige aktuelle Themen aus einer neuen Perspektive zu betrachten.
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