Der Frauenfußball hofft zum Bundesligastart auf einen Aufschwung. Dabei helfen Rekord-TV-Einnahmen und Vorbilder aus der Nationalmannschaft.
Auf dem örtlichen Grundschul-Bolzplatz ist die Trendwende ein bisschen zu spüren. Meistens ist das Gelände Jungs-Territorium. Aber in der zweiten Pause, so berichtet es der Zehnjährige, kicken die Mädchen mit. Können die das? „Ja, ein paar.“ In den Statistiken des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zeigt sich die Trendwende deutlicher: Demnach ist die Zahl der Mädchenfußball-Teams mit Spielerinnen unter 16 Jahren von 3980 im vergangenen auf 4823 in diesem Jahr gestiegen.
Vor kurzem verabredeten sich die Bolzplatz-Jungs, um Frauenfußball-WM zu gucken. Sie brüllten ziemlich dabei und waren voller Bewunderung bei schönen Toren. Nach dem frühen Ausscheiden der deutschen Mannschaft in Australien, fiebern sie nun dem Start der Frauen-Bundesliga am 15. September entgegen. Trotz der WM-Enttäuschung könnte die Liga dem Aufschwung im Mädchen- und Frauenfußball helfen. So sieht es zumindest Thomas Eichin, Direktor Lizenz und Gesamtverantwortlicher für den Frauenfußball bei Bayer 04 Leverkusen. „Fußball wird erstmal noch eine Männerdomäne bleiben“, sagt der ehemalige Bundesliga-Profi: „Deshalb brauchen wir mehr Männer, die Frauenfußball gut finden.“
Und mehr Frauen auf verantwortlichen Positionen. Das wünscht sich Doris Fitschen, beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) Gesamtkoordinatorin für Frauen und Fußball. Aktuell fallen Entscheidungen häufig im Sinne der Jungs und Männer. Etwa wenn es darum geht, wer auf den Kunstrasenplatz darf und wer auf den Ascheplatz muss. Oder bei der Frage, für welches Team sich der Klub die Lizenz für die nächsthöhere Spielklasse leisten will. „Das können wir nicht von heute auf morgen ändern in den Vereinen, dafür muss sich etwas in den Köpfen der Beteiligten ändern“, sagt Ex-Profikickerin Fitschen: „Dabei hilft, wenn unsere Vorbilder sichtbar sind.“
Sind sie mehr denn je, seit die deutschen Frauen im vergangenen Jahr bei der EM beeindruckten und im Finale nur knapp England unterlagen. Aktuell ist Kapitänin und Torjägerin Alexandra „Poppi“ Popp in aller Munde. Fitschen sagt: „Wir sehen eine enorme Dynamik, der Mädchen- und Frauenfußball entwickelt sich sehr positiv, der Trend geht wieder nach oben.“
Zuschauerrekorde in den Stadien
Wieder. Denn die Zahlen waren schon besser. 2010, im Jahr vor der Frauenfußball-WM in Deutschland, gab es 8665 Mädchenmannschaften im DFB. „Wir hatten schwierige Zeiten“, gesteht Fitschen. Deshalb die im vergangenen Jahr aufgelegte DFB-Strategie „FF-27“, für die sie verantwortlich ist. Der Verband will den Frauen-Aufschwung diesmal nachhaltiger gestalten. Bis 2027 soll sich unter anderem die Anzahl aktiver Spielerinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen um 25 Prozent erhöhen, und die mediale Reichweite soll sich verdoppeln.
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Die Richtung stimmt bereits: In der vergangenen Saison gab es bei Frauenspielen Zuschauerrekorde in den Stadien. Und der Verkauf der nationalen Fernsehrechte bringt ab der anstehenden Saison Rekordeinnahmen, 16 Mal mehr als in der vergangenen Rechteperiode, 5,17 Millionen Euro pro Jahr. Gut, die Männer haben für die vier Spielzeiten bis 2024/25 rund 4,4 Milliarden Euro erlöst. Auch das erklärt, warum viele Entscheidungen im Sinne des männlichen Nachwuchses fallen. Wer die größten Einnahmen sichert, hat Priorität. Und die Klubs mit Frauen-Bundesligateams bezuschussten diese Mannschaften bislang noch, erklärt Eichin von Bayer Leverkusen. Aber bei den Männern wurde der ewige Aufschwung zuletzt gebremst. Die Szene ist in Alarmbereitschaft, denn die 4,64 Milliarden Euro aus dem letzten Vierjahreszeitraum werden wohl auch bei den nächsten Verhandlungen nicht mehr erreicht.
Investieren in die Nachhaltigkeit
Thomas Eichin mag Frauenfußball. Er mahnt aber zu Besonnenheit. „Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen, die deutlichen Mehreinnahmen aus dem TV-Vertrag ausschließlich in das Endprodukt zu stecken“, sagt er: „Für die Entwicklung des Frauenfußballs habe ich nichts gewonnen, wenn ich den Spielerinnen doppelt so hohe Gehälter bezahle.“ Es müsse „in die Nachhaltigkeit der weiblichen Nachwuchsarbeit“ investiert werden, damit „die jungen Spielerinnen bessere Trainer bekommen und auf besseren Plätzen spielen können. Wir brauchen mehr Qualität in der Breite“. In der DFB-Frauen-Strategie heißt das: „Ohne Breite keine Spitze.“
Aktuell ist es noch so, dass besonders talentierte Mädchen ihre Kinderjahre in Jungsmannschaften verbringen müssen. Vor allem abseits der Ballungsgebiete. Bei Doris Fitschen war das so. Bei Alexandra Popp ebenfalls. Und auch noch bei U-17-Nationalspielerin Lilith Schmidt vom 1. FC Köln. Bayer 04 Leverkusen leistet sich Nachwuchsteams ab der U8 – bei den Jungs. Die besten Mädchen aus der Region werden erst ab der U13 nach Leverkusen geholt. Bei den Jungs gibt es einen so riesigen Talentpool, wie es im Sportjargon heißt, dass schon sehr früh hart selektiert wird. Talentierte Mädchen dagegen müssen nach Möglichkeiten suchen, gefordert zu werden. Unter ihresgleichen ist das oft nicht möglich.
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Geht der Aufschwung weiter, könnte sich das ändern. Christos Katzidis, Präsident des Fußball-Verbands Mittelrhein (FVM), gehört auch zu den Frauenfußball-Fans. „Man merkt in ihrem Spiel nur noch einen Unterschied zu den Männern: die physische Dynamik“, sagt er: „Aber Technik, Taktik, Spielsystem, wie die Tore fallen – das ist alles mega, es macht großen Spaß, Frauenspiele zu gucken.“ Ihn freut der Zulauf an Mädchen und Frauen im FVM. Zum Stichtag 1. Januar 2023 verzeichnete der regionale Verband 44.821 aktive Spielerinnen im Freizeit- und Breitensport. 2022 waren es noch 42.033. „Die größten Zuwächse haben wir dabei von der U9 bis zur U12“, sagt Katzidis.
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Die Mädchen stehen bereit
Das sind beste Voraussetzungen für einen anhaltenden Boom. Wenn da nicht der Mangel an Spielfläche und ehrenamtlichen Trainerinnen und Trainern wäre. „Die Infrastruktur wächst nicht im notwendigen Umfang mit“, sagt Katzidis und fordert deshalb, dass Städte bei der Neuerschließung von Wohngebieten auch Sportstätten mitdenken und mitplanen mögen: „Wachsen, wachsen, wachsen und Teile der nötigen Infrastruktur einfach vergessen, das funktioniert nicht.“ Was dann wirkt wie ein Kampf um Ressourcen zwischen Jungs und Mädchen oder Männern und Frauen (wer bekommt die besten Trainer, Plätze, Trainingszeiten?), sei in Wirklichkeit ein Infrastrukturproblem, meint auch Doris Fitschen: „Wir brauchen mehr Trainingsstätten und mehr Menschen, die sich fürs Ehrenamt begeistern.“
Die Mädchen von heute stehen bereit, sie haben Lust auf Fußball. Und die Jungs von heute finden das ganz normal – anders als die Männer von damals, die das 1955 beschlossene Frauenfußballverbot im DFB erst am 31. Oktober 1970 wieder aufhoben.
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