Frank (56) wurde als Bundespolizist in Afghanistan traumatisiert. Bei den Invictus Games will er jetzt den Sport als Chance zur Therapie nutzen.
Etwas stimmte nicht mit ihm. Frank ahnte das. Aber so richtig klar wurde es ihm erst, als er sich während eines Hundespaziergangs plötzlich am Straßenrand auf dem Boden liegend und mit der Hand nach seiner Waffe suchend wiederfand. Die er natürlich nicht dabei hatte. Er war an einem Glascontainer vorbeigekommen. Dort war ein Auto über eine leere Flasche gefahren. Und das hatte mächtig geknallt.
Frank rekonstruierte das Geschehen, als er wieder klar denken konnte. Zunächst hatten sein Körper und sein Geist das Geräusch als Explosion gewertet und auf Autopilot geschaltet: Flach hinlegen, Waffe ziehen, die Umgebung sondieren. Im Einsatz in Afghanistan die richtige Reaktion. Beim Gassigehen in Köln-Godorf eher nicht.
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Frank hat nun wieder ein Team
Posttraumatische Belastungsstörung. Kurz: PTBS. Heute hat Frank Worte für das, was mit ihm los ist. Und Methoden, um nicht bei jedem Knall im deutschen Alltag zu reagieren wie ein Soldat im Kriegsgebiet. Vor allem aber hat Frank sein Team. Die deutsche Mannschaft für die Invictus Games. Frauen und Männer, die Ähnliches erlebt haben wie er. Die ihn verstehen. Die sich um ihn kümmern. Um die er sich kümmert.
Die 37 Sportlerinnen und Sportler haben in den letzten Monaten gemeinsam für die Spiele trainiert, die 2014 vom britischen Prinzen Harry ins Leben gerufen wurden. „Invictus“ bedeutet im Lateinischen unbezwingbar. Die Idee dahinter: Im Dienst geschädigte Soldatinnen und Soldaten sollen die Kraft des Sports nutzen, um Heilung zu erfahren. Oder zumindest Linderung. Der Sport soll ihr Mittel sein, sich eben nicht bezwingen zu lassen von einem lebensverändernden Erlebnis oder Unfall, bei dem sie ihre seelische oder körperliche Unversehrtheit verloren haben. Es geht dabei nicht um sportliche Höchstleistungen und Siege, sondern vor allem um Therapie. Und um öffentliche Wahrnehmung und Würdigung von Menschen, die den Einsatz für ihr Land mit ihrer Gesundheit bezahlt haben.
Erstmals mit „Blaulicht-Organisationen“
Auf die Premiere in London 2014 folgten Veranstaltungen in Orlando, Toronto, Sydney, Den Haag – und nun ist Düsseldorf dran. Zum ersten Mal dürfen per Sondergenehmigung neben Soldatinnen und Soldaten auch vier Angehörige der so genannten „Blaulicht-Organisationen“ dabei sein, also Betroffene von Polizei und Feuerwehr. Da schließt sich der Kreis zu Frank, dem 56 Jahre alten Bundespolizisten aus Köln, der gut vier Jahre seines Berufslebens bei Auslandseinsätzen in Afghanistan und Saudi-Arabien verbrachte und am Ende mit PTBS heimkehrte. Seither ist sein Ziel, „für meine Familie wieder der alte Frank sein“. Der lustige, verlässliche, spontane Ehemann und Vater, der neugierig ins Ausland aufgebrochen war und stolz einen Teil seiner Sonderprämien in eine Harley Davidson investiert hatte. Nicht der launische, aufbrausende, kaum zu etwas zu gebrauchende Heimkehrer, der bei jedem Knall panisch reagiert.
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Frank ist seit 1987 Bundespolizist. Bevor er ins Ausland ging, war er Zugführer einer Einsatzmannschaft in St. Augustin. Castortransporte, Großdemonstrationen, Fußballspiele, das Sommermärchen bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland – er hat viel gesehen und erlebt. 2012 ging er zum ersten Mal nach Afghanistan, in Masar-e Scharif leitete der Kölner den administrativen Bereich für die knapp 100 deutschen Bundespolizisten vor Ort. Das sei vor allem „sehr interessant“ gewesen, sagt Frank: „Natürlich auch gefährlich, das Land ist gefährlich, aber mein Job war ganz bestimmt nicht einer der gefährlichsten in Afghanistan.“
2014 folgten drei Monate Saudi-Arabien, 2015 übernahm er erneut seinen alten Posten in Masar-e Scharif. Von dort wechselte Frank nach Kabul und wurde Leiter Admin der Bundespolizei für Gesamt-Afghanistan. „Da habe ich dann eine ganz andere Gefährdungslage mitbekommen“, sagt er. Aber seine Polizeikollegen und er selbst waren nie direkt betroffen, Frank kehrte 2016 gesund nach Hause. Und wollte da eigentlich auch bleiben.
„Wenn der Chef dich dabeihaben will“
Doch dann bat sein Chef aus St. Augustin ihn, noch einmal mit nach Kabul zu kommen. Diesmal als Leiter Sicherheit. „Das war der verantwortungsvollste Job in meinen 36 Dienstjahren. Eine ganz andere Hausnummer“, sagt Frank. „Aber es tut der Seele gut, wenn der Chef zu einem sagt, dass er dich dabeihaben will.“ Dass seine Seele am Ende großen Schaden nehmen würde, ahnte Frank nicht.
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Gleich zu Beginn seines Einsatzes sagte er zu den Bundespolizisten vor Ort: „Mein Ziel ist es, jeden von Euch gesund wieder nach Hause zu bringen.“ Jede Fahrt seiner Leute außerhalb des Camps wurde von ihm und seinem Team gecheckt und genehmigt. Frank stand in ständigem Austausch mit Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden. Er kannte jede Straße in Kabul, war bestens informiert und vernetzt. Und doch: Dreieinhalb Wochen nach seiner Ankunft war der Leiter der Mission, Franks Chef aus St. Augustin, tot.
Frank hätte es nicht ändern können. Der Mann nahm sich das Leben. Warum, ist ungeklärt. „Das hat mir zugesetzt, mein Vorhaben, alle gesund nach Hause zu bringen, war gescheitert“, sagt Frank. Kurz darauf starb zu Hause in Deutschland seine Mutter. Die schlechten Nachrichten rissen nicht ab. Frank tat weiter seinen Job in Kabul. Die Anschläge wurden häufiger. Seine Leute und er blieben unverletzt, aber er musste Berichte schreiben, Zahlen nennen, über viele tote Zivilisten berichten, darunter Kinder.
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Dann kam der 14. Januar 2019, sieben Tage später sollte Franks Mission in Afghanistan endgültig enden. Es war ein Montag. „Da hat mein Schutzengel Überstunden gemacht“, sagt Frank. Er hätte am Nachmittag in einem bestimmten Büro sein sollen zu einer Routinebesprechung. Die war aber abgesagt worden, deshalb hielt er sich in seinem Zimmer auf. Den Schreibtisch am Fenster hatte er gerade verlassen, um in der abgeschlossenen Nasszelle Wasser für die Kaffeemaschine zu holen.
1,5 Tonnen Sprengstoff explodierten
Dann knallte es. Frank flog im Bad gegen die Wand. Er rannte raus. Wie in Trance griff er nach seiner Weste, dem Helm und seinem Sturmgewehr G36. Das Fenster seines Zimmers war bis auf sein Bett katapultiert worden. Hätte er noch am Schreibtisch gesessen, hätte es ihn wohl erschlagen. Das Büro, in dem sich Frank montags um diese Zeit sonst immer aufhielt, war komplett zerstört. Ein Lkw mit 1,5 Tonnen Sprengstoff war an der Außenwand des Camps zur Explosion gebracht worden. Frank und seine Männer blieben unverletzt. Aber es gab Tote im Camp. Und sehr viele zivile Opfer in einer Schule in der Nähe.
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Eine Woche später kam Frank nach Hause. Es ging ihm nicht gut. Er schlief schlecht, hatte Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen, diese unnatürliche Schreckhaftigkeit. Vier Monate später ging Frank in eine Rehaklinik. Dort wurde PTBS diagnostiziert. Aber helfen konnte man ihm nicht, es gab keine Traumaspezialisten. Erst ein Jahr nach dem Ende seiner Mission bekam Frank die Hilfe, die er brauchte. „Es gibt keine Heilung, aber man lernt, damit umzugehen“, sagt er. Inzwischen ist er wieder dienstfähig, er arbeitet als Ausbilder junger Bundespolizisten in Swisstal. Dienstfähig zu sein, bedeutete auch, gesund zu sein.
So dachte Frank.
„Da habe ich vor Freude geheult“
Dann entdeckte er die Invictus Games. Bundeswehrärzte checkten seine Akte, er nahm an ersten Treffen in der Bundeswehr-Sportschule in Warendorf teil – und wurde schließlich ausgewählt. „Da habe ich vor Freude geheult“, sagt Frank. Da hatte er schon gemerkt, dass er nicht so gesund war, wie er glaubte. „Aber ich wusste noch nicht, wie gut mir die Vorbereitung auf die Invictus Games tun würde.“ Er wird in Düsseldorf beim Schwimmen, Tischtennis und Sitzvolleyball antreten. Das sportliche Training hat ihm gutgetan. Vor allem aber hat ihm die Therapie im Team geholfen. Frank sagt: „Hier erfahre ich die Unterstützung, die ich mir gewünscht habe.“
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